March 8, 2011

Der Jesuitenorden, Gehorsam



Paule Hoensbroech – Der Jesuitenorden pt 2

pt 1 Einleitung
(siehe auch # Abhängigkeit vom Obern und # Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches)

Satzungen:

"Besonders dient es zum Fortschritt und es ist sehr notwendig, dass alle sich einem vollkommenen Gehorsam hingeben, indem sie den Oberen (wer immer es sei) als den Stellvertreter Christi des Herrn anerkennen und ihm innerliche Ehrfurcht und Liebe erweisen, und nicht nur in der äußerlichen Ausführung dessen, was er befiehlt, sollen sie vollständig, schnell, starkmütig und mit gebührender Demut, ohne Entschuldigungen und Gegenreden gehorchen, obwohl er vielleicht Schwieriges und der Sinnlichkeit Widerstrebendes befiehlt, sondern sie sollen auch streben, innerliche Resignation und wahre Verleugnung des eigenen Willens und Urteils zu erlangen, indem sie das eigene Urteil und den eigenen Willen mit dem, was der Obere will und denkt, ganz in Übereinstimmung bringen in allem (wo nicht Sünde erkannt würde) und das Urteil und den Willen des Oberen als Regel für eigenes Urteil und eigenen Willen sich vorsetzen, damit sie um so gleichförmiger werden der ersten und höchsten Richtschnur alles guten Willens und Urteils, welche ist die ewige Güte und Weisheit." (Const. p. 3, c. 1, n. 23, Summ. const. n. 31: II, 47, III, 6)

"Alle sollen am meisten den Gehorsam beachten, und sie sollen suchen, sich in ihm hervorzutun – nicht bloß in pflichtgemäßen Dingen sondern auch in anderen, sei es, dass auch nur ein Zeichen des Willens des Oberen ohne ausdrückliches Gebot bemerkt würde. [...] Wir sollen alle Nerven unserer Kräfte aufs Genaueste in Bezug auf die Tugend des Gehorsams anspannen, zunächst gegenüber dem Papst, dann gegenüber den Oberen der Gesellschaft, und zwar so, dass wir für alles, worauf sich der Gehorsam mit Liebe erstrecken kann, auf ihre [der Oberen] Stimme, gleichsam als ginge sie von Christus aus (denn aus Liebe und Ehrfurcht zu ihm leisten wir Gehorsam), bereit sind, indem wir jede angefangene Sache, selbst den angefangenen Buchstaben im Stich lassen, indem wir alle Kräfte und alle unsere Absicht im Herrn darauf richten, dass in uns der heilige Gehorsam in der Ausführung, im Willen, im Verstand immer ganz und gar vollkommen sei, indem wir mit großer Schnelligkeit, mit geistlicher Freude und Standhaftigkeit, was immer uns aufgetragen wird, tun, jede entgegenstehende Meinung und Ansicht sollen wir in einem gewissen blinden Gehorsam verleugnen, und zwar soll dies geschehen in Bezug auf alles, was vom Oberen angeordnet wird, wo nicht definiert werden kann (ubi definiri) non possit), dass irgendeine Art von Sünde vorliegt.

Jeder soll überzeugt sein, dass, wer unter dem Gehorsam lebt, sich von der göttlichen Vorsehung durch die Oberen lenken und leiten lassen soll, als sei er ein Leichnam, der sich hierhin und dorthin auf jede Weise tragen und legen lässt, oder als sei er der Stab eines Greises, der demjenigen, der ihn hält, wo und wie auch immer er will, dient.
[...] Alle diejenigen Dinge fallen unter solchen Gehorsam, bei denen es sich nicht um offenbare Sünde handelt (in quibus nullum manifestum est peccatum).
In Bezug auf Ausführung wird Gehorsam dann geleistet, wenn die befohlene Sache ausgeführt wird.
In Bezug auf den Willen, wenn der, welcher gehorcht, dasselbe will wie der, welcher befiehlt.
In Bezug auf den Verstand, wenn er dasselbe denkt wie jener, und wenn er das Befohlene für gut hält.
Und unvollkommen ist jener Gehorsam, bei dem sich – außer bei der Ausführung – nicht auch die Übereinstimmung von Willen und Verstand des Befehlenden und Gehorchenden findet."
(Const. p. 6, c. 1, n. 1, und decl. B u. C, Summ. const. n. 35, 36: II, 93, 94, III, 7)

"Die freie Verfügung über sich selbst und die eigenen Angelegenheiten sollen alle mit wahrem Gehorsam dem Oberen überlassen [...] auf keine Weise zu erkennen gebend, dass das eigene Urteil dem Urteil des Oberen entgegen sei." (Const. p. 4, c. 10, n 5: II, 73)

"Wenn jemand Küchendienst versieht oder dem Koch hilft, soll er ihm mit großer Demut und in allen Dingen, die zu seinem Amt gehören, gehorchen. Denn leistet er dem Koch nicht völligen Gehorsam, so wird er, wie es scheint, auch keinem anderen Oberen gehorchen. Denn der wahre Gehorsam sieht nicht auf die Person, dem er geleistet wird, sondern auf den, wegen dessen man gehorcht, und wenn man wegen unseres Schöpfers und Herrn gehorcht, gehorcht man [überall] dem Herrn der Dinge.
Deshalb soll man unter keinen Umständen darauf sehen, ob er Koch oder der Obere des Hauses ist, ob dieser oder jener befiehlt, denn man gehorcht – richtig verstanden – nicht jenen noch wegen ihrer sondern allein Gott und allein wegen unseres Schöpfers und Herrn." (Ex. gen. c. 4, n. 29, Const. p. 3, c.1, n. 24: II, 13, 47)


Zu diesen Stellen aus den Satzungen kommt als wichtige Ergänzung der Brief des Ignatius von Loyola *click*
("Obedientia undequaque perf ecta inde ab initio tessera fuit eorum, qui in vestra Societate Deo militant. [...]
Sensui enim catholico conformis est illa virtus, perpetua traditione antiquarum et venerabilium Religionum, probante Sede Apostolica, sancita, quam vobis descriptam reliquit sanctus Ignatius in celebri 'Epistola de virtute Obedientiae'. A vero autem prorsus aberrant qui sentiunt doctrinam illius Epistolae iam esse derelinquendam, et obedientiae hierarchicae et religiosae subrogandam esse 'democraticam' aliquam aequalitatem, qua subditus cum Superiore de agendis contendat, donec uterque in idem placitum consentiat.")
"Über die Tugend des Gehorsams" (de virtute obedientiae).
Er richtete ihn an die portugiesische Ordensprovinz, allein das Dokument war selbstverständlich für den ganzen Orden bestimmt und wurde als Ordensgesetz in alle Ausgaben der Satzungen aufgenommen:

"Gern mögen wir uns übertreffen lassen von anderen religiösen Orden in Fasten, Nachtwachen und anderen Härten der Lebensweise, die ihnen durch ihre Ordensregel heilig vorgeschrieben sind, durch wahren und vollkommenen Gehorsam, durch Ablegung (abdicatio) des eigenen Willens und Urteils sollen sich aber, geliebte Brüder, alle auszeichnen, die in dieser Gesellschaft unserem Gott und Herrn dienen, und der wahre und echte Spross dieser Gesellschaft soll durch dieses Merkmal [von den anderen Orden] unterschieden werden. [...]
Sehr wünsche ich, dass auch das euch bekannt sei und eurem Gemüt tief innewohne, dass untergeordnet und unvollkommen jener Gehorsam ist, der das Befohlene nur äußerlich ausführt, dass er nicht einmal den Namen 'Tugend' verdient, wenn er nicht aufsteigt zum zweiten Grade, indem er den Willen des Oberen zu dem seinigen macht und so mit ihm übereinstimmt, dass nicht nur im Äußeren die Ausführung hervortritt, sondern auch im Inneren die Übereinstimmung, und dass so beide dasselbe wollen, dasselbe nicht wollen.
Deshalb lesen wir in der heiligen Schrift: 'Gehorsam ist besser als Schlachtopfer', denn (wie der heilige Gregor lehrt) durch Schlachtopfer wird fremdes Fleisch, durch Gehorsam aber der eigene Wille geschlachtet (mactatur). [...]
Deshalb, geliebte Brüder, leget ab so viel wie möglich euren Willen (voluntates vestras deponite) und überliefert und opfert eure Freiheit, in seinen Dienern [den Oberen], eurem Schöpfer, der sie euch gegeben hat. [...] Wer deshalb zur Tugend des Gehorsams gelangen will, muss zu diesem zweiten Grade des Gehorsams aufsteigen, so dass er nicht nur die Befehle des Oberen ausführt, sondern auch den Willen des Oberen zu dem seinigen macht oder vielmehr seinen auszieht und den vom Oberen ihm dargelegten göttlichen Willen anlegt.

Wer aber sich Gott ganz darbringen will, muss (und das ist der dritte Grad des Gehorsams) außer dem Willen auch den Verstand opfern, so dass er nicht nur dasselbe will, sondern auch dasselbe denkt wie der Obere und sein Urteil dem des Oberen unterwirft, soweit ein frommer Wille den Verstand beugen kann.
Denn obwohl diese Kraft des Geistes nicht mit jener Freiheit begabt ist, wie der Wille, und obwohl von Natur aus ihre Zustimmung dorthin erfolgt, wo der Schein des Wahren sich zeigt, so kann sie doch in vielen Dingen, wo nämlich die Evidenz der erkannten Wahrheit ihr keine Gewalt antut, durch das Gewicht des Willens eher nach dieser als nach jener Seite hin geneigt werden. Treten solche Fälle ein, so muss jeder, der sich zum Gehorsam bekennt, sich der Ansicht des Oberen zuneigen.

Denn da der Gehorsam ein Ganzopfer ist, wodurch der ganze Mensch ohne irgendwelche Verkümmerung sich seinem Schöpfer und Herrn durch die Hände seiner Diener im Feuer der Liebe opfert, da er eine völlige Abdankung bedeutet, wodurch der Ordensmann freiwillig seines ganzen Rechtes sich begibt, um sich der göttlichen Vorsehung unter der Führung des Oberen zur Leitung und zum Besitze zu übergeben und zu überliefern, so kann nicht geleugnet werden, dass der Gehorsam nicht bloß die Ausführung, so dass jemand die Befehle vollzieht, und den Willen, so dass er sie gern vollzieht, sondern auch das Urteil umfasst, so dass, was immer der Obere befiehlt und denkt (quaecunque superior mandat ac sentit), dasselbe auch dem Untergebenen recht und wahr zu sein scheint, soweit – wie ich gesagt habe – der Wille durch seine Gewalt den Verstand beugen kann. [...]

Ist dieser Gehorsam des Urteils nicht vorhanden, so kann auch die Übereinstimmung des Willens und die Ausführung nicht so sein, wie sie sein soll. [...]
Auch geht dann die blinde Einfalt des Gehorsams verloren, indem wir bei uns erwägen, ob, was der Obere befiehlt, recht ist oder nicht. [...] So kommt es, dass der Gehorsam, obwohl er zunächst den Willen zu vervollkommnen scheint, indem er ihn für den Wink des Oberen gefügig und bereit macht, dennoch auch, wie ich gesagt habe, sich auf den Verstand erstrecken und ihn bewegen muss, dasselbe zu denken, was der Obere denkt. [...]
Zuerst müsst ihr, wie ich schon eingangs gesagt habe, in der Person des Oberen nicht einen Irrtümer und Schwächen unterworfenen Menschen, sondern Christum selbst erblicken, der die höchste Weisheit, die unendliche Güte, die unermessliche Liebe ist, der nicht getäuscht werden kann und nicht täuschen will. [...] Seid eifrig bemüht, was der Obere befiehlt oder denkt, auch bei euch stets zu verteidigen, niemals aber zu tadeln. [...]

Haltet für gewiss, was immer der Obere befiehlt, sei Gottes Befehl und Wille, und wie ihr sofort bereit seid, mit ganzem Gemüte und aller Übereinstimmung zu glauben, was der katholische Glaube euch vorlegt, so sollt ihr auch mit einem gewissen blinden Drange des zu gehorchen begierigen Willens ohne irgendwelche Untersuchung euch treiben lassen, zu tun, was immer der Obere sagt. [...] So hat Abraham gehandelt, als ihm befohlen wurde, seinen Sohn Isaak zu schlachten, so hat der Abt Johannes gehandelt [...] als er unter großer und dauernder Mühe ein ganzes Jahr lang ein dürres Holz begoss. [...]
Diese Unterwerfung des eigenen Urteils und diese Billigung und Gutheißung, ohne jede Untersuchung (sine ulla quaestione) dessen, was immer (quodcunque) der Obere befohlen hat [...] ist für alle, die sich des vollkommenen Gehorsams befleißen, nachahmungswert in allen Dingen, die nicht mit offenbarer Sünde (cum peccato manifesto) verbunden sind. Deshalb ist es euch aber nicht verwehrt, wenn euch etwas von der Ansicht des Oberen verschiedenes aufstößt und es euch gut scheint (nachdem ihr zuvor demütig zum Herrn gebetet habt), es dem Oberen auseinander zu setzen, dass ihr es dem Oberen vortraget. Damit euch aber eure Selbstliebe und euer eigenes Urteil nicht täusche, ist die Vorsicht anzuwenden, dass ihr sowohl vor wie nach der Berichterstattung vollständig gleichmütigen Geistes seid, ob ihr die Sache, um die es sich handelt, tun oder nicht tun sollt, und dass ihr billigt und für besser haltet, was immer dem Oberen gefällt. [...]

Ich beschwöre euch bei Christus unserem Herrn, [...] bemühet euch, den vornehmeren und schwierigeren Teil eures Geistes, Verstand und Urteil, zu bezwingen (expugnare) und zu unterwerfen."
Rom, den 26. März 1553 (Ep. S. P. N. Ignatii de virt. obed. : III, 27 ff.)

Niemals ist unter religiös-christlichem Schein etwas Unchristlicheres, niemals in ethisch-moralischer Umkleidung etwas Unsittlicheres vorgeschrieben worden. Niemals sind die Worte Religion, Christentum und Christus schnöder, verderblicher und abgefeimter missbraucht worden, als hier in den Satzungen der "Gesellschaft Jesu" und in dem Brief ihres Stifters. Die Würde des Menschen, auch die, welche er, nach christlichem Glauben, Gott gegenüber hat, nämlich seine aus Verstand und Willen sich zusammensetzende Sittlichkeit, sein moralisches Selbstbewusstsein, sein persönliches Verantwortlichkeitsgefühl sind vernichtet.


Vor uns steht nicht ein Mensch, ja nicht einmal ein abgerichtetes Tier, sondern vor uns steht ein "Stock", ein "Leichnam", eine "Sache". Bedarf es für diese Anschuldigungen des Beweises? Der Wortlaut der vorgelegten Stellen rechtfertigen mein Urteil. Dennoch will ich auf die Hauptpunkte, sie zusammenfassend, noch einmal eingehen:

1. Der Gehorchende muss dasselbe "wollen" und "denken" wie der Befehlende.

2. Der Gehorchende muss "das Befohlene für gut halten".

3. Der Gehorchende darf "auf keine Weise zu erkennen geben, dass das eigene Urteil dem Urteil des Oberen entgegen ist" (nec ulla ratione judicium proprium ipsius judicio contrarium demonstrando).

4. Der Gehorchende muss dem Befehlenden gegenüber sich verhalten wie ein "Leichnam" oder wie ein "Stock", "die sich hierhin und dorthin auf jede Weise tragen und legen lassen".

5. Der Gehorchende muss "das eigene Urteil und den eigenen Willen ablegen" (abdicare).

6. Der Gehorchende muss "den Willen des Oberen zu dem seinigen machen, oder vielmehr, er muss seinen Willen ausziehen und den vom Oberen ihm dargelegten göttlichen Willen anlegen".

7. Der Gehorchende soll "vollständig abdanken und seines ganzen eigenen Rechtes sich entledigen".

8. Der Gehorchende muss "urteilen, dass, was immer der Obere befiehlt und denkt, recht und wahr ist".

9. Der Gehorchende geht des Verdienstes "der Einfalt des Gehorsams verlustig, wenn er bei sich erwägt, ob, was der Obere befiehlt, recht ist oder nicht".

10. Der Gehorchende "soll sein eigenes Urteil unterwerfen und billigen und gutheißen, ohne jede Untersuchung, was immer der Obere befiehlt".

11. Der Gehorchende „muss eifrig bemüht sein, was der Obere befiehlt oder denkt, stets zu verteidigen, niemals aber zu tadeln“.

12. Der Gehorchende muss "für gewiss halten, was immer der Obere befiehlt, sei Gottes Befehl und Wille".

13. Der Gehorchende muss, "ebenso wie er bereit ist zu glauben, was der katholische Glaube ihm [mit Unfehlbarkeit] vorlegt, bereit sein, mit einem gewissen blinden Drange, ohne irgendwelche Untersuchung, zu tun, was immer der Obere sagt".

14. Der Gehorchende muss im Oberen "nicht einen dem Irrtum unterworfenen Menschen, sondern den irrtumslosen Christus erblicken".

Diesen vierzehn Geboten gegenüber, die ebenso viele Erdrosselungen des Verstandes und Willens sind, bedeuten die in bezug auf die Sünde gemachten Einschränkungen absolut nichts.
Wie kann jemand prüfen, ob das Befohlene sündhaft ist, wenn er "ohne irgendwelche Untersuchung" gehorchen muss, wenn er "nicht erwägen darf, ob, was der Obere befiehlt, recht ist oder nicht", wenn er "seinen eigenen Verstand und Willen ganz und gar ablegen" muss, wenn er dem befehlenden Oberen gegenüber sich verhalten muss wie ein "Leichnam" und wie ein "Stock", wenn er "auf keine Weise zu erkennen geben darf, dass das eigene Urteil dem Urteil des Oberen entgegen ist", wenn er "im Oberen nicht einen dem Irrtum unterworfenen Menschen, sondern den irrtumslosen Christus" selbst erkennen muss?
Auch der Wortlauf der Einschränkungen lässt deutlich ihre innere Nichtigkeit erkennen: Gehorchen muss man immer und überall, solange "nicht definiert (definiri) werden kann, dass irgendeine Art von Sünde vorliegt", oder solange es sich nicht "um offenbare (manifestum) Sünde handelt – und wie viele nicht-"offenbare" Sünden gibt es, wenn im Befehl des Oberen die Sünde nicht so greifbar vor den Gehorchenden hintritt, dass er sie sofort als solche "definieren" kann, dann muss er gehorchen. Und überdies – das ist immer wieder zu betonen – den Befehl des Oberen "untersuchen", ihn "prüfen" darf der Untergebene nicht, so wenig, dass er von vornherein alles für "recht und gut" halten muss, was der Obere befiehlt.
Wo bleibt da, frage ich nochmals, die praktische Gelegenheit des Nichtgehorchens Sündhaftem gegenüber?


Und noch mehr! Ignatius scheut sich nicht, selbst das krass Sündhafte, die "offenbare" Sünde, als Gegenstand des Gehorsams hinzustellen.

"So [schreibt der Ordensstifter], d.h. getrieben von blindem Drang, ohne irgendwelcher Untersuchung zu gehorchen, hat Abraham gehandelt, als ihm befohlen wurde, seinen Sohn Isaak zu schlachten."

Dass hier "Gott" dem Abraham etwas schwer Sündhaftes befahl, ganz gleichgültig, ob dieser "Gott" den Willen und die Macht hatte, die sündhafte Tat im letzten Augenblicke zu verhindern, kann keine Theologie und keine "Frömmigkeit" wegdisputieren.
Und diesen auf "offenbare" Sünde (Kindestötung) abzielenden Gehorsam stellt der Stifter des Jesuitenordens als nachahmenswert, ja als die höchste Vollkommenheitsstufe des Gehorsams hin!

Er geht sogar noch weiter. Denn in den Satzungen fordert er die Oberen auf, "zuweilen" von den Untergebenen einen Abrahamsgehorsam zu verlangen:

"Es wird nützlich sein, dass die Oberen sie [die Untergebenen] zuweilen [...] zu ihrem größeren geistlichen Nutzen auf diese Weise versuchen, wie der Herr den Abraham versucht hat."
(Const. p.3, c.1, decl. V: 11, 50)

Nein, die "Einschränkungen" in bezug auf das Sündhafte sind – ich spreche das ungescheut aus – lediglich gemacht, um die abgrundtiefe Unsittlichkeit und das in jedem Betracht Menschenunwürdige des jesuitischen Gehorsams nicht allzu klar zutage treten zu lassen, oder – im besten Falle – weil der Urheber solch schmählicher Theorien mit einigen einschränkenden Redensarten sein eigenes Gewissen beruhigen wollte.
Mit der Unsittlichkeit ist die Unchristlichkeit von selbst gegeben.


Der vollkommene Gehorsam

Der Jesuit Alfons Rodriguez:

"Der Gehorsam ist die wesentlichste Tugend des Ordensstandes. [...]
Er gefällt Gott weit mehr als alle Opfer, welche man ihm darbringen kann, und schließt die Keuschheit, die Armut und alle übrigen Tugenden in sich. [...] Dies ist keine Übertreibung, sondern eine unumstößliche Wahrheit. [...] Wir sollen auch unser Urteil dem unseres Oberen gleichförmig machen, sodass wir stets mir seinen Ansichten übereinstimme und alles, was er befiehlt, für gut halten. [...] Treten wir in den Orden, so sollen wir beherzigen, dass wir unseren Willen in das Grab legen. [...] Die dritte Stufe des Gehorsams besteht in der Gleichförmigkeit des Verstandes mit dem unseres Oberen, sodass wir [...] alles, was er befiehlt, für vernünftig halten, unser Urteil gänzlich dem seinigen unterwerfen. [...] Der unvollkommene Gehorsam hat zwei Augen, aber zu seinem Unglück. Der vollkommene Gehorsam ist blind. [...] Seien wir also so, als wären wir gänzlich tot. Eine Leiche sieht nicht, antwortet nicht. [...] So sollen auch wir keine Augen haben [...] keine Worte, um Einwendungen zu machen gegen jenes, was uns der Gehorsam vorschreibt. [...] Nehmen wir an, Christus selber erschiene dir und beföhle dir, dieses oder jenes zu tun [...] es würde dir nicht in den Sinn kommen , über das, was er dir geböte, ein Urteil zu fällen, du würdest nicht den mindesten Zweifel hegen, ob es gut oder böse wäre, sondern blindlings den Auftrag vollziehen. [...] Erblickst du in deinem Oberen nicht den dem Irrtum unterworfenen Menschen, sondern Christus selber, der die höchste Weisheit, Güte und Liebe ist, welche weder irren kann, noch dich in Irrtum führen will, so hören alle Grübeleien und Urteile auf."
(Gioberti, a.a.O., III, 206, 210, 215, 218, 221, 225, 249, 253)

Genelli-Kolb SJ:

"Der Wille des Befehlenden und Gehorchenden ist nur ein Wille, ohne dass der Geist des letzteren verfinstert und stumpf würde. Im Gegenteil, er ergibt sich freiwillig, weil er erkennt, dass es so der Wille Gottes sei, dem zu widerstehen Frevel ist. Also der Verstand selbst erzeugt diesen Gehorsam, indem er die Notwendigkeit desselben anerkennt und dadurch seine edelste Tätigkeit entwickelt. [...]
In zweifelhaften Fällen muss er das Urteil des Oberen dem seinigen vorziehen, da bei ihm die Eigenliebe die bessere Wahl erschwert und der Vorgesetzte die Angelegenheiten aus einem höheren und richtigeren Gesichtspunkt betrachtet." (Leben des hl. Ignatius, S. 213, 215)

Sehr bemerkenswert ist das Urteil Gotheins, verbunden mit einer äußerst wichtigen Erläuterung des Ignatius über den Gehorsam bei sündhaften Befehlen:

"Gerade durch das Opfer der Einsicht macht es [das von Ignatius von Loyola ausgebildete "künstliche System von Sachunterscheidungen"] den Gehorsam zu einer solchen [d.h. Tugend]. Freilich fügt Ignatius bei dieser Forderung oft die Klausel hinzu: 'soweit nicht eine Sünde klar erkennbar ist'. Allein diesen noch übrig gelassenen Zweifel an der Lauterkeit des Befehles eines Oberen hat er alsbald wieder auf das denkbar kleinste Maß beschränkt.
Schon 1543 gibt er den Pariser Scholaren [gemeint sind "Scholastiker" des Jesuitenordens] eine Weisung dieser Art. Danach ist es nur die niedere Art des Gehorsams, das Befohlene zu tun, wenn kein Schein einer Sünde dabei ist, die höhere dagegen wo ein solcher vorhanden, mit dem eigenen Urteil zurückzuhalten, die Zweifel dem Oberen vorzulegen und dann nach seiner Entscheidung mit ruhigem Geist das Befohlene zu tun." (Ignatius von Loyola und die Gegenreformation, S. 333 f., Gothein verweist a.a.O., S. 788, auf Cartas, Briefe des Ignatius, Nr. 47)

Wie rücksichtslos, abgesehen von den Jesuiten selbst, auch ihre Verteidiger die über den blinden Gehorsam handelnden Stellen der Ordenssatzungen fälschen, mag am Freiburger Universitätsprofessor und Uditore di Rota (höchster päpstlicher Gerichtshof), Franz Heiner gezeigt werden.
In dem Kapitel "Der blinde jesuitische Gehorsam" (Der Jesuitismus S. 52-57) bringt er die Stelle aus dem 3. Teil der Ordenssatzungen (c. 1, n. 23: II, 47), unterschlägt aber die Vorschrift, dass der Untergebene dahin streben soll, "innerliche Entsagung und wahre Verleugnung des eigenen Willens und Urteils zu üben und sein Urteil und seinen Willen ganz und gar in Übereinstimmung zu bringen mit dem, was der Obere denkt und will in allem, wo nicht Sünde erkannt wird, indem er Willen und Urteil des Oberen zur Regel seines eigenen Willens und Urteils macht." Überhaupt bringt Heiner in dem ganzen Kapitel keine einzige Stelle von den vielen der Ordenssatzungen, die den blinden, unbedingten Gehorsam fordern.
Er legt nur zwei Stellen vor, die den Gehorsam gegenüber sündhaften Befehlen ausschließen (S. 54).

Fast selbstverständlich ist es, dass der Jesuitenorden zur Verherrlichung seiner Gehorsamstheorie eine seiner beliebtesten Künste, Wunder und Visionen, arbeiten lässt. Unter zahlreichen "Visionen" zu Ehren des Gehorsams lege ich eine besonders charakteristische vor. Sie gibt zugleich eine gute Probe jesuitischen Hochmuts, der uns noch in einem besonderen Abschnitt beschäftigen wird. Nach dem Bericht des Jesuiten Ludwig Mansonius, Provinzials der neapolitanischen Ordensprovinz, sagte Christus der heiligmäßigen Jungfrau Johanna ab Alexandro, dem Beichtkind des Mansonius, am 7. Juni 1598 in der Jesuitenkirche zu Neapel:

"Der Gehorsam, den ich von den Mitgliedern meiner Gesellschaft fordere, ist der blinde Gehorsam, dass sie jedem Wink der Oberen folgen, und ich wünsche, dass sie sich jedes eigenen Willens entäußern. [...] Dass ich dir Unwürdigen diese Vision habe zuteil werden lassen, ist eine Belohnung für den Gehorsam, den du dem [Jesuiten-] Pater Ludwig geleistet hast. Ihm sollst du auch dies alles erzählen und seinen frommen Befehlen gehorchen."
(die Dokumente bei Döllinger-Reusch, M. St., I, 528 f. und II, 346)

Was will man mehr? Christus selbst erklärt sich in einer "Erscheinung" – 1600 Jahre nach seinem Tod – für den blinden Gehorsam "seiner" Gesellschaft.

Der Jesuitenorden, Einleitung



Paul Graf von Hoensbroech: Der Jesuitenorden, eine Enzyklopädie. Einleitung

pt 2 Gehorsam

Als mitten im Weltkrieg, da Deutschland schon in schwerster Bedrängnis war (Frühjahr 1917) das Zentrum seine Rechnung für geleistete vaterländische Dienste in Gestalt des Antrages auf Aufhebung des Jesuitengesetzes der Regierung überreichte, und als Regierung und Reichstag in Schwäche und Verblendung den Antrag annahmen – siehe "Jesuitengesetz in Deutschland" – wurde ich von verschiedenen Seiten angegangen, eine kurze Zusammenstellung der Hauptgrundsätze des Jesuitenordens zu veröffentlichen.
An Ähnliches hatte ich selbst schon gedacht. Aber es durfte nichts Kleines, es musste etwas Großes werden.

Das Unheil war geschehen: die Jesuiten waren wieder zugelassen, ihrer Tätigkeit stand nichts mehr im Wege.
Und so fest es auch für mich steht, dass der Jesuitenorden infolge seines verderbten Wesens, wie bisher aus allen Ländern, so auch aus Deutschland einst wieder ausgestoßen werden wird, so glaube ich doch, dass bis dahin vielleicht noch Jahrzehnte vergehen werden. Da gilt es, einen festen Wall zu errichten gegen seinen Einfluss, eine reichhaltige Rüstkammer anzulegen, aus der scharfschneidende Waffen zu seiner Bekämpfung gewonnen werden können. Eine kleine Schrift, auch noch so gediegenen Inhaltes, würde in der übrigen Bücherflut bald verschwunden sein. Es musste ein Werk geschaffen werden, das nach äußerem Umfang und innerer Reichhaltigkeit über die Flut hinausragt. Deshalb unterzog ich mich der nicht fast, sondern wirklich übergroßen Mühe dieses Werkes. Auch noch ein anderer Grund trieb mich zur Arbeit.

Ich stehe am Ende meines Lebens, und obwohl ich mein redlich Teil geleistet habe, Aufklärung zu verbreiten über den größten Religions-, Christentums-, Staats- und Kulturfeind, den Jesuitismus, so dass ich sagen kann: non omnis moriar, so will ich doch nicht ins Grab steigen, ohne noch einen großen Schlag gegen den Antichristen zu führen. Kenntnisse, theoretische und praktische, besitze ich, um über den Jesuitenorden ein für seine Beurteilung immer grundlegend bleibendes Werk zu schreiben.


Ist der Jesuitenorden wirklich eine so große Gefahr?

Wenn man die Meinungen verschiedener Kreise hört, die sich seit Jahrzehnten durch Zeitungen, Volksvertretungen und Versammlungen in die Öffentlichkeit ergießen und die in die Plattheiten auslaufen: "Keine Ausnahmegesetze", und "Der deutsche Geist braucht die wenigen Jesuiten nicht zu fürchten", so sollte man allerdings meinen, Jesuitenfurcht sein Gespensterfurcht. Wer aber die Dinge sieht, wie sie sind, d.h. geschichtlich, und wer den Jesuitenorden, seine Grundsätze und seine Arbeitsart kennt, der weiß, dass "Jesuitenangst" begründet ist.
Nicht zwar in der Unüberwindlichkeit der Jesuiten – unüberwindliche Irrungen gibt es für den menschlichen Geist überhaupt nicht – sondern in der Erkenntnis, dass die Gefährlichkeit des Jesuitenordens für Religion, Christentum, Staat und Kultur, Güter, deren Verteidigung höchste Pflicht ist, durch die jesuitische Arbeitsart und durch die Wirkungsmöglichkeiten, die in ihr liegen, zu einer besonders großen wird.
Gerade das deutsche Volk hat allen Grund, sich der Jesuiten zu erwehren.
Seit um die Mitte des 16. Jh. die Jesuiten nach Deutschland kamen, bis zur Aufhebung des Ordens im Jahre 1773, hat Deutschland Unsägliches durch sie gelitten. In der Gegenreformation, in den Hexenverfolgungen, im Dreißigjährigen Krieg haben sie deutsches Blut in Mengen fließen gemacht. [...]

Sein Hass gegen den Protestantismus ist groß. Wo immer jesuitische Tätigkeit sich entfaltet, da wird es nie Frieden unter den Bekenntnissen geben, da wird der Konfessionalskeil systematisch ins Volk getrieben und jede Verständigungsmöglichkeit vertrieben.
Und wie zahlreich und wirksam sind nicht die Mittel, die dem Jesuiten für die Zerstörungsarbeit zur Verfügung stehen! Mittel, die man wegen ihres religiösen Charakters unmittelbar kaum bekämpfen kann: Predigt, Beichtstuhl, Volksmissionen, Exerzitien, Kongregationen usw., jede auch noch so "kleine" Jesuitenniederlassung ist Ausgangs- und Mittelpunkt einer großen Bewegung. Wie ein Stein ins Wasser geworfen, viele und weite Kreise zieht, so treiben die "wenigen" Jesuiten von ihren Sprechzimmern, Beichtstühlen, Exerzitienhäusern, Kongregationskapellen aus ihren verderblichen Einfluss in alle Schichten des Volkes.

Diese religiöse Verhetzung ist die eine Seite der großen Gefährlichkeit des Jesuitenordens.
Vaterlandslosigkeit ist die andere.
Der vaterlandslose Jesuit als Leiter zahlloser Vereine aller nur möglichen Berufe und Stände, der vaterlandslose Jesuit als Jugenderzieher, Seelenführer, Hausfreund und Familienberater ist eine ungeheure Gefahr für unser Volkstum, denn die jesuitische Vaterlandslosigkeit unterhöhlt gerade diejenige Kraft, die an erster Stelle aller völkischen Kräfte stehen muss: wurzelechte, bedingungslose Vaterlandsliebe.

Bismarck sagte am 28. November 1885 im Reichstag:

"Die Gefahr, die gerade die Tätigkeit der Jesuiten für Deutschland, seine Einigkeit und seine nationale Entwicklung hat, liegt nicht im Katholizismus der Jesuiten, sondern sie liegt in ihrer ganzen internationalen Organisation, in ihrem Lossagen und Loslösen von allen nationalen Banden und in ihrer Zerstörung und Zersetzung der nationalen Bande und nationalen Regungen, überall, wo sie ihnen beikommen können [...]
Es ist dieser Kosmopolitismus, diese Neigung zur Vaterlandslosigkeit, die gerade der Jesuitenorden mehr als irgendein anderer durch seine Jugenderziehung fördert, indem er die Jugend von den nationalen Banden, vom Nationalgefühl losreißt.
Die Jesuiten sind eine Gefahr für das geringe Maß, für den geringen Rest an Nationalgefühl, der einer großen Mehrzahl von uns Deutschen geblieben ist."

Merkwürdig! Bismarck trifft sich hier mit einem führenden deutschen Jesuiten der Gegenwart, Moritz Meschler SJ, der das offene Geständnis ablegt:

"Von Beruf aus ist der Jesuit international und Kosmopolit im besten und edelsten Sinne des Wortes. Mit der Heimatscholle an den Füßen ist ein Eroberungsflug durch die Welt gar nicht denkbar."

[...] Oben nannte ich das Wesen des Jesuitenordens ein "verderbtes". Das ist es ohne Zweifel, mag man es religiös, christlich, politisch oder kulturell beurteilen. Die Verderbtheit hindert aber nicht, dass der Orden auch Gutes hervorgebracht hat – das Wort vom Baum, den man an den Früchten erkennt, ist überhaupt nur bedingt, d.h. nicht in bezug auf alle Früchte wahr – dass einzelne Jesuiten auf einzelnen Gebieten Tüchtiges, ja selbst Hervorragendes geleistet haben. Mancher Artikel meines Werkes wird dafür zeugen.


Meinem Werke gebe ich die Form einer Enzyklopädie. Warum?

Oberflächlichkeit, Faulheit und Unwissenheit – bedacht und bewusst schreibe ich diese scharfen Ausdrücke – sind im Kampfe gegen Ultramontanismus und Jesuitismus Hauptfehler gerade derjenigen, deren erste Pflicht ihre Bekämpfung ist: Regierungsmänner, Volksvertreter, Presseleute. Systematische Werke über den Jesuitenorden lesen sie nicht, zum Studium haben sie "keine Zeit". Es ist das eine Schande und ein Kulturverbrechen. [...]

Auch wenn man die Reden der Jesuitengegner aus den siebziger Jahren liest, so fasst einen Ingrimm über die Unwissenheit, die sich dort breit macht. So ging es weiter all die Jahre hindurch bis heute.
Kein einziger der vielen "Zentrums- und Jesuitentöter" im Reichs- und Landtag, keine einzige der vielen antiultramontanen Zeitungen, kein einziger der leitenden Regierungsmänner, niemand war seiner großen Aufgabe auch nur annähernd gewachsen, weil keiner die erforderlichen Kenntnisse besaß. Nichts als Halbwissen, Oberflächlichkeit und Faulheit.
Ich wiederhole: eine Schande und ein Kulturverbrechen.

Aber es ist nun einmal so, und so muss man es den zum Kampf Berufenen leicht machen. Das geschieht, indem alles Wissensnotwendige und Wissenswerte über den Jesuitenorden in Form einer Enzyklopädie dargeboten wird. Da bedarf es nur der "Mühe" des Nachschlagens der betreffenden Stichworte.
An Stichworten im Register und an deren Ausführungen habe ich es deshalb nicht fehlen lassen.


Mein Werk ist zusammengestellt aus den Quellen. Die Quellen zerfallen in zwei Gruppen: Jesuitenfreunde und Jesuitengegner. Ich will ein möglichst objektives Bild des Jesuitenordens geben. Dafür ist notwendig, das Für und Wider zu Wort kommen zu lassen. Selbstverständlich gehört zu den Quellen auch die Geschichte des Jesuitenordens. Wie überall, so gilt auch hier: magistra veritatis historia – ein Wort, das zum Schaden der religiösen, politischen, staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung viel zu wenig beherzigt wird.
Die Quellen, ob Freund oder Feind, lasse ich durchweg im Wortlaut sprechen.

Bei Auswahl der Stellen habe ich mich nur von der Sachlichkeit leiten lassen. Weil ich überzeugter Gegner des Jesuitenordens bin, weil ich in langer Zugehörigkeit zum Orden und in noch längeren Jahren eingehenden Studiums ihn als verderbt und verderblich erkannt habe, will ich seine Verderbtheit und seine Verderblichkeit für die religiöse, staatliche und kulturelle Welt aus Lehren und Tatsachen unanfechtbar erweisen, und will die Unanfechtbarkeit durch Gegenüberstellung von Freund und Feind, von Angriff und Verteidigung erhärten.
Die Stellen, die ich anführe, sind aus dem "Zusammenhang" gelöst, aber sie enthalten die wirkliche Ansicht der betreffenden Schriftsteller, Jesuiten oder Nichtjesuiten, d.h. auch im "Zusammenhang" ergeben die Stellen keinen anderen Sinn als ohne "Zusammenhang".
Das Bestreben nach Sachlichkeit hat mich bei zahlreichen Artikeln nur Stellen anführen lassen, denen man zustimmen kann, d.h. Stellen, aus denen sich ergibt, dass der betreffende Jesuit oder auch der Orden als solcher richtige Ansichten vertreten. Denn auch das Bild des Jesuitenordens weist wie alle Bilder, Schatten und Licht auf, was freilich nicht hindert, dass das Gesamtbild ein abschreckendes ist.
Wie es keinen Menschen gibt, der nur schlechte Eigenschaften besitzt, so gibt es auch keine menschliche Genossenschaft, die nur auf Schlechtes gerichtet ist oder nur Schlechtes hervorbringt. [...]

Was die Stellen aus Schriften von Jesuiten angeht, so übersehe man bei ihrer Beurteilung nicht, dass alles, was immer von Jesuiten veröffentlicht wird, ausnahmslos von der Ordenszensur geprüft und gutgeheißen worden ist (siehe "Bücherprüfung und Bücherausgabe") [...] Dass mein Werk polemisch ist, brauche ich nicht zu sagen. Wohl aber möchte ich einigen Gedanken über Polemik Ausdruck geben. Sie werfen auch Licht auf dieses Wörterbuch.
Vielfach ist man geneigt, polemische Werke geringer zu bewerten als nichtpolemische, besonders die Zunftwissenschaftler stellen die reine "abgeklärte" Wissenschaft der Polemik gern als das Bessere und Höhere gegenüber. Ohne Zweifel: theoretisch und abstrakt betrachtet ist "reine und abgeklärte Wissenschaft" DIE Wissenschaft und DAS Ideal. Aber da es nun einmal, solange es Menschen gibt, auch Irrtum und Unwahrheit geben wird, und zwar auf allen Gebieten, so werden auch die Wahrheit und die sie darlegende Wissenschaft stets, sie mögen wollen oder nicht, sich in Verteidigungs-, d.h. in polemischer Stellung befinden.
Wer nach der Wahrheit forscht, begegnet auf Schritt und Tritt nicht nur dem Irrtum, sondern auch der Lüge und der Entstellung. An ihnen vorbeigehen, ohne aufzuklären, ohne zu widerlegen, ohne zu entlarven, d.h. ohne zu polemisieren, ist unmöglich.

Das Wort von der Wissenschaft "ihrer selbst wegen", mit dem man so oft die Polemik beiseite schiebt, klingt schön, ist aber falsch. Die Wissenschaft ist des Menschen, d.h. seines materiellen und geistigen Lebens wegen da, und deshalb muss sie die Hinweise aufdecken und ihre Beseitigung suchen, die auf diesen beiden Wegen sich zeigen: wiederum Polemik. Und wenn wir die Geschichte der Wissenschaft betrachten, ist sie nicht Geschichte eines einzigen großen durch die Jahrtausende sich hinziehenden Kampfes zwischen Licht und Dunkel, zwischen Aufklärung und Verdummung, d.h. ist sie nicht fortlaufend Geschichte der Polemik? […]
Nun gibt es allerdings verschiedene Arten von Polemik: gute und schlechte, wissenschaftliche und unwissenschaftliche, und es ist nicht zu leugnen, dass das Wort "Polemik" etwas in Verruf gekommen ist, weil schlechte und unwissenschaftliche Polemik vielfach die Oberhand bekommen haben.
Das darf aber den Blick nicht trüben für die Wahrheit, dass gute und wissenschaftliche Polemik etwas Großes und Befreiendes ist, dass sie geboren wird aus dem edelsten Drang, der im Menschen lebt, aus dem Drang nach Wahrheit und ihrer Verteidigung.

Alle Artikel mit Ausnahme desjenigen über das "Jesuitenlatein", den Herr Studienrat Prof. Otto Morgenstern vom Schillergymnasium Berlin-Lichterfelde geschrieben hat und wofür ich ihm hier auch öffentlich danke, stammen von mir. Die Verantwortung für die vorgelegten Stellen usw. trage ich allein.
Arbeit und Mühe waren groß, für einen einzelnen fast übergroß.
Viele Hunderte von Werken, Büchern, Schriften und selbst Zeitungsartikeln habe ich durchlesen müssen.
Oft wollten Lust und Kraft erlahmen, aber der Gedanke, meinem Volke und darüber hinaus der Kulturwelt einen nicht unerheblichen Dienst zu erweisen, gab immer wieder neuen Antrieb.
Damit behaupte ich nicht, Vollkommenes geleistet zu haben, wohl aber sehr Brauchbares.
Zusammen mit meinem Werk "14 Jahre Jesuit" ist diese Enzyklopädie die umfassendste und, weil die Quellen selbst sprechen, zuverlässigste Darstellung des Jesuitenordens, seines Geistes, seiner Tätigkeit und seiner Arbeitsart, die es bisher gibt. Möchte sie wesentlich beitragen, den Orden zu enthüllen als das, was er, in seiner Ganzheit betrachtet, ist: "das Geheimnis der Bosheit" (2. Thess. 2, 7).

March 5, 2011

Docta pietas – intellektualisierter Schriftglaube



Stefan Kiechle SJ: Wissen was stimmt – Die Jesuiten pt 4

pt 1 SJler sind die, die wissen was stimmt
pt 2 Ignatianische Schuldverstrickung im Weltmaßstab
pt 3 Irdische Bindung lediglich zum General(sekretär)


S. 87-90) Das älteste globalisierte Unternehmen der Welt

Der Jesuitenorden ist das älteste globalisierte Unternehmen der Welt, zentral geleitet und gesteuert, mit gut ausgebildetem, mobilem und hoch motiviertem Personal.
Im 16. Jh. war eine solche Konstruktion historisch erstmals möglich, weil das weltweite Postwesen gerade genügend funktionsfähig war, um die dafür nötige Kommunikation zu gewährleisten – vor dem 16. Jh. waren die Orden und auch die Weltkirche dezentral verfasst, und das mehr, als man heute vermutet.

[...] In den letzten Jahrzehnten haben die Generalkongregationen auch wichtige pastorale und theologische Impulse, die teilweise großen Widerhall in der Öffentlichkeit fanden. [...]
Wie wird ein Generaloberer gewählt?
220 delegierte Jesuiten kommen aus aller Welt zusammen, sie kennen sich kaum. Alle sind Kandidaten der Wahl, keiner strebt das Amt an. Jeder hat genau eine Stimme, keiner darf die Wahl ablehnen.
In einem viertägigen Gemurmel (lat. murmurationes) wird nun beraten: Es gibt keine Kandidatenliste, keine öffentliche Diskussion, man redet ausschließlich murmelnd in Zweiergesprächen über mögliche Kandidaten. Zwischendurch ziehen sich die Wähler immer wieder zum Gebet zurück. Nach vier Tagen und einer weiteren Stunde des gemeinsamen schweigenden Gebets wird geheim gewählt: Fast alle Generaloberen der Geschichte wurden im ersten oder zweiten Wahlgang mit absoluter Mehrheit gewählt – meist zur großen Überraschung des Gewählten selbst, denn dieser wurde im Gemurmel am wenigsten gefragt. [...]
Insofern wird der seit der Gründung international ausgerichtete Jesuitenorden zentral und hierarchisch, aber nicht autoritär geführt. Es gab nie Abspaltungen oder Reformzweige.


S. 91-94) Erst Philosophie, dann Theologie

Kandidaten müssen seit mindestens drei Jahren katholisch und ledig sein. [...]
Ein Eintritt mit über 35 Jahren wird in der Regel schwierig, weil die Persönlichkeit schon sehr ausgeprägt ist und nicht mehr leicht in den Geist des Ordens hineinfindet. [...]
Das Noviziat dauert zwei Jahre und hat drei Ziele: Der Novize soll den Orden tiefer kennen lernen, er soll in die Spiritualität hineinwachsen, und er soll verantwortlich entscheiden, ob er sich für ein Leben lang an den Orden bindet oder nicht. Er kann das Noviziat jederzeit verlassen, auch der Orden hat die Freiheit ihn zu entlassen.
Etwa die Hälfte der zwei Jahre verbringt der Novize im Noviziatshaus mit Unterricht, spirituellen Übungen und dem Einüben des Gemeinschaftslebens. Die andere Hälfte macht er Praktika außer Haus, u.a. ein Krankenpflegepraktikum, eine Pilgerfahrt, ein Seelsorgepraktikum und die 30-tägigen Exerzitien.
Der Novizenmeister begleitet ihn auf seinem persönlichen Weg, erteilt Unterricht, sendet ihn in die Praktika. Er ist zugleich Oberer und spiritueller Begleiter – der Novize übt mit ihm den vertrauensvollen Gehorsam ein. Am Ende des Noviziats bindet sich der Novize an den Orden durch die Ersten Gelübde – er legt sie auf Lebenszeit ab, anders als in den anderen Orden üblich, deren Mitglieder zuerst mehrmals "zeitliche" Gelübde – auf einige Jahre hin – ablegen, bevor sie zu den "ewigen" Gelübden gelangen.

Danach kommen für die "Scholastiker" – jene, die Priester werden – die Grundstudien: zwei bis drei Jahre Philosophie (für die deutschsprachigen in der Regel an der Ordenshochschule in München), danach zwei Jahre "Magisterium", ein Praktikum als Erzieher, Seelsorger oder in sozialer Arbeit in einer Einrichtung des weltweiten Ordens, danach drei bis vier Jahre Theologie, meist im Ausland an einer Hochschule des Ordens.
Diese Jahre dienen auch dem weiteren Hineinwachsen in den Orden, in die Kommunitäten und in die Lebensweise, auch mit internationalen Kontakten und Reisen. [...]
Meist macht man das Tertiat in einem weit entfernten Land, was den Horizont und die Kenntnis des Ordens noch einmal weitet. Nach dem Tertiat kommen die "Letzten Gelübde": Endgültig binden sich der Orden und der Jesuit aneinander. Der Generalobere selbst lässt den Jesuiten zu diesen Gelübden zu und legt seinen "Grad" im Orden fest. Die meisten Jesuiten legen gleichzeitig das sogenannte Vierte Gelübde ab, den ausdrücklichen Gehorsam gegenüber dem Papst "gemäß den Aussendungen".
Die Ausbildung des Jesuiten dauert also mindestens 10-15 Jahre.


S. 96 ff.) Jesusfanatiker zweiter Klasse

Ignatius wollte hoch gebildete, streng arm lebende, ganz spirituelle und total verfügbare Seelsorger in seinem Orden haben. [...] Bald merkte Ignatius jedoch, dass er – v.a. für die Kollegien – mehr Jesuiten brauchte. Diese durften auch weniger gebildet sein. Sie sollten für die Hausdienste, für einfache Seelsorge an den Schülern und für Unterricht da sein. Nun nahm er dafür weitere Jesuiten auf und nannte sie "Koadjutoren" (Helfer).
Es gab darunter Priester und Laienbrüder ("geistliche" bzw. "zeitliche" Koadjutoren). Sie lebten eher ortsstabil und in Häusern, die nicht ganz so arm waren – für große Schulen brauchte man feste Einkünfte und regelmäßige Versorgung. [...]
Aber auch unter Priestern gab es nun zwei Grade. Schwierig zu entscheiden war, welcher Priester zur Profess mit vier feierlichen Gelübden und welcher als Koadjutor mit drei einfachen Gelübden zuzulassen war.
Meist entschied man nach den Noten im Studium. Später war aber in den Tätigkeiten und in der Lebensweise von Professen und geistlichen Koadjutoren kaum mehr ein Unterschied. [...] Heute geht der Orden mit der Frage so um, dass man möglichst viele Priester zur Profess zulässt und außerdem den Koadjutoren intern so viele Rechte wie möglich – was das Kirchenrecht eben zulässt – gibt, also auch eine begrenzte Mitwirkung bei Kongregationen.


S. 99 ff.) Geheimagenten ihrer Majestät

Jesuiten haben kaum äußere Gemeinsamkeiten: kein Chorgebet, kein Ordensgewand, kein Kloster, keinen gemeinsamen Tagesablauf. Kommunitäten erscheinen daher nach außen wie unverbindliche Wohngemeinschaften. Auch in der Arbeit hat jeder seine Aufgaben und erledigt diese weitgehend selbständig, in einem persönlichen und oft recht eigenen Stil. Jesuiten sind auch viel auf Reisen, meist allein. [...]
Der Orden war immer stark in der – so sagt man heute – individuellen "Personalentwicklung".
Oft wird man versetzt – also ist es besser, sich nicht zu eng an Personen eines Ortes zu binden, sondern flexibel, unabhängig und damit mobil zu bleiben. Jesuiten gehen schnell Beziehungen ein und lassen sie bisweilen schnell wieder los
– was manche irritiert. Jesuiten sind oft starke Persönlichkeiten, manche bleiben ein Leben lang Einzelkämpfer – Spötter sprechen von den Künstlerjesuiten, den jesuitischen Ich-AGs.
[...] Die Basis der Gemeinschaft ist letztlich die Kommunikation: das Anteil geben und das Anteil nehmen am anderen, ein intensiver Austausch auch über persönliche und geistliche Erlebnisse, regelmäßige kleinere und größere Treffen [...] Die Eucharistie, mehr oder weniger oft gemeinsam gefeiert, verbindet nochmals tiefer untereinander und mit Christus. Dieses Ideal verwirklicht sich oft nur teilweise, doch ist der Orden als ganzer in einem Lernprozess, der das frühere Gemeinschaftsdefizit nach und nach abzubauen hofft.
Ignatius und die ersten Jesuiten nannten sich "Freunde im Herrn".


S. 102-105) Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – und Frömmigkeit

Der inhaltlich wichtigste Akzent der 32. Generalkongregation 1974/75 war das Dekret Nr. 4, in dem der Orden seine Sendung als "Dienst am Glauben und Förderung der Gerechtigkeit" definiert. [...] Alle Arbeitsfelder des Ordens sollen so entwickelt werden, dass man sich zukünftig ebenbürtig für die soziale Gerechtigkeit einsetzt. Ansätze und Anliegen der Befreiungstheologie bekamen hier ein weltweites Gewicht.
Der Orden hatte sich schon immer für Arme eingesetzt, aber hier wurde dies programmatisch zur Priorität erklärt – eine "weltlose" Glaubensverkündigung, die soziale Probleme ignoriert, kann nicht christlich und jesuitisch sein. Die 32. GK war ein Paukenschlag, von vielen bejubelt, von manchen misstrauisch und kritisch beäugt. War der Orden endgültig auf linke und sozialistische, letztlich das Materielle überbewertende, also atheistische Theorien hereingefallen? Die Jesuiten waren und sind jedoch überzeugt, dass sie mit der 32. GK nur das Evangelium zeitgemäß verkündeten.

# Kein Dienst am Glauben ohne Förderung der Gerechtigkeit, Eintritt in Kulturen, Offenheit für andere religiöse Erfahrungen.
# Keine Förderung der Gerechtigkeit ohne Glauben mitzuteilen, Kulturen umzuwandeln, mit anderen Traditionen zusammenzuarbeiten.
# Keine Inkulturation, ohne sich über den Glauben auszutauschen, mit anderen Traditionen in Dialog zu treten, sich einzusetzen für Gerechtigkeit.
# Kein Dialog, ohne den Glauben mit anderen zu teilen, Kulturen zu untersuchen, Sorge zu tragen für Gerechtigkeit. (Dekret 2)

[...] Die 35. GK wählte Adolf Niklas zum neuen General, erneuerte das Gehorsamsverständnis und verabschiedete einen programmatischen Text: "Ein Feuer, das weitere Feuer entzündet – unser Charisma wiederentdecken."


S. 106-111) Jesus der humanistische Christus

Das erste Kolleg wurde 1548 in Messina gegründet, schon beim Tod des Ignatius 1556 gab es 46, wenige Jahrzehnte später Hunderte Kollegien in ganz Europa und in Übersee.
Jesuiten hatten bald erkannt, dass die spirituellen Ideale der Exerzitien am wirkungsvollsten und nachhaltigsten über die Erziehung von Kindern und Jugendlichen in den Herzen der Menschen verwurzelt wurden. Europa hatte einen Hunger nach qualifizierter Bildungsarbeit, sodass die Schularbeit zum bevorzugten Mittel der Jesuiten wurde, "den Seelen zu helfen".
Die Lehrmethoden der Jesuiten waren großenteils nicht neu, sie wurden aus der Tradition übernommen, aber neu kombiniert und fruchtbar gemacht. Was man als Modus Parisiensis bezeichnete, hatten die ersten Gefährten selbst als fruchtbar erfahren: Schüler repetierten systematisch den Lernstoff, je nach Niveau der Schüler gab es Klassenstufen mit klaren Lehrplänen, es gab Prüfungen und einen dauerhaft zuständigen Lehrer – heute erscheinen diese Elemente selbstverständlich, so sehr haben sie sich in der allgemeinen Pädagogik verwurzelt.

Das Bildungsideal der Jesuiten war dem Humanismus entnommen: Man verband altsprachliche Bildung mit ethischer Verantwortung, welche damals selbstverständlich religiös eingebettet blieb. Neu war das eindeutige konfessionelle Profil: Jesuiten erneuerten und vertieften in ihren Kollegien den katholischen Glauben. Viele katholische Landesherren fragten sie wegen dieser klaren Identität an, in ihren Städten Kollegien zu betreiben – protestantische Landesherren gründeten an ihren Orten ähnliche Schulprojekte. Ihre Exerzitienspiritualität übersetzten die Jesuiten in den Schulalltag, etwa mit Theaterspielen und Prozessionen, in denen die Bildhaftigkeit und Sinnlichkeit des Katholischen besonders erfahrbar wurde.
Nachdem in den ersten Jahrzehnten pädagogisch überall experimentiert wurde, gab der Orden nach einer langen Erprobungsphase und nach intensiven Beratungen 1599 eine zentrale Schul- und Studienordnung heraus, die berühmte Ratio atque Institutio Studiorum Societas Iesu.
Ganz genau wurden der Schulalltag, die Lehrpläne, die Methodik usw. geregelt.
Das Werk wurde pädagogisch prägend für Jahrhunderte, auch weit über den Jesuitenorden hinaus.

Was sind die Kennzeichen der Jesuitenschulen in aller Welt?
# Das Ideal der docta pietas, der "gelehrten Frömmigkeit", so schon in der Ratio von 1599 ausgedrückt:
Man verbindet spirituell vertieften christlichen Glauben und hohe Intellektualität und Gelehrsamkeit.
# Erziehung zur Selbständigkeit und Eigenverantwortung
# Arbeit mit Multiplikatoren, die in Gesellschaft und Kirche Verantwortung übernehmen sollen und dadurch christliche Werte durchsetzen.
# Integration von Sinnen und Geist, von Körper und Seele, von Affekt und Verstand, von Theorie und Praxis.
# Arbeit mit "Experimenten" – heute würde man "Praktika" sagen – die gut ausgewertet und reflektiert werden.
# Heute besonders die Weckung sozialer Sensibilität, die Motivation zum Einsatz für Arme und zum Kampf für Gerechtigkeit und Frieden, die Öffnung für interkulturellen und interreligiösen Dialog.
# Nach Möglichkeit kostenfreie Bildung für alle, die begabt und motiviert sind.
Bis vor einigen Jahrzehnten waren Jesuitenschulen recht elitär: [...]
Im Zuge der Öffnung für Fragen der Gerechtigkeit gründete man eigene Schulwerke für Arme.

Erziehen Jesuiten Diktatoren? Nicht nur Robert Mugabe und Fidel Castro waren in der Tat Jesuitenschüler – es ließe sich mancher zweifelhafte Machthaber der Geschichte in die Liste einreihen.
Das alte Eliteprinzip, auf hohem Niveau Leistungs- und Verantwortungsträger auszubilden, um so christliche Werte in die Gesellschaft einzupflanzen, zeigt hier natürliche Schwächen. Wer intellektuell brillant ist, kann seine gut gemeinte, ganz wertorientierte Erziehung verkehren und zum äußerst wirksamen Teufel werden. [...] Menschliches Tun, auch mit der besten Absicht, hat keine Erfolgsgarantie. [...]
Die Geschichte der Jesuiten ist nur ein Beispiel für alle Geschichte.


S. 112) Die es den Seelen besorgen

Jesuiten sind ganz auf die Seelsorge hin ausgerichtet, was im 16. Jh. nur für Priester, also nur für Männer, denkbar war. Frauenorden konnte man sich damals nur streng klausuriert, d.h. in klösterlicher Abgeschiedenheit, vorstellen, und genau so lebten in jener Zeit die "Frauenzweige" anderer Orden. "Tätige", also sozial oder seelsorgerlich aktive Frauenorden, gab es erst seit dem 17. Jh., in großer Zahl dann ab dem 19. Jh.
Ignatius scheute außerdem die seelsorgerliche Verpflichtung, die damals andere Männerorden für ihre jeweiligen klausurierten Frauenzweige zu erfüllen hatten.


S. 114) Gemeinschaft Christlichen Lebens

Führend war die GCL in der Wiederbelebung der ursprünglichen ignatianischen Form der Exerzitien.
Im deutschsprachigen Raum bietet die GCL viele Exerzitienkurse an, sie bildet auch selbst, in Zusammenarbeit mit Jesuiten, Laien zu Exerzitienbegleiterinnen und -begleitern aus.

Ignatius von Loyola – Mystiker und Manager (echter)

Irdische Bindung lediglich zum General(sekretär)



Stefan Kiechle SJ: Wissen was stimmt – Die Jesuiten pt 3

pt 1 SJler sind die, die wissen was stimmt
pt 2 Ignatianische Schuldverstrickung im Weltmaßstab
pt 4 Docta pietas – intellektualisierter Schriftglaube


S. 66-72) Ultimative Weltstaatsbeamte kommunistischer Lebensart

Jesuiten verstehen die Gelübde "apostolisch", d.h. die Gelübde werden – nach dem Vorbild Jesu und der Apostel – in ihrem Sinn und in ihrer Praxis ganz auf die seelsorgerliche Arbeit hin ausgerichtet.
Die Gelübde haben damit keinen Zweck in sich, sie sind auch eher in zweiter Linie mystisch oder aszetisch zu verstehen – dass sie frei machen zur Gottesbegegnung – sondern sie werden gleichsam "funktional" gelebt, indem sie die Verfügbarkeit für den Dienst und dessen Effizienz verbessern.
Das Gelübde der Armut besteht im Wesentlichen aus der vollständigen Gütergemeinschaft und einer bescheidenen, einfachen Lebensweise. Kein Jesuit hat persönlichen Besitz: Alle Einnahmen gehen in die Gemeinschaftskasse, alle Ausgaben werden aus ihr getätigt. Einnahmen bekommt der Orden aus der Arbeit der Jesuiten, außerdem aus Spenden und – in geringem Maß – aus Kapitalerträgen. An der Kirchensteuer in Dtl. haben die Orden keinerlei direkten Anteil. Apostolisch ist die Gütergemeinschaft insofern, als Jesuiten Gelder, die sie nicht direkt für ihren Lebensunterhalt benötigen, in seelsorgerliche Einrichtungen stecken.


Society of Jesus: Sozialismus seit 470 Jahren


Was den konkreten Umgang mit Geld angeht, so herrscht unter Jesuiten Großzügigkeit und Eigenverantwortung. Je nachdem, welche Aufgabe er hat, muss jeder selbst sehen, für was und in welchem Maß er Geld ausgibt, und darüber Rechenschaft ablegen. Jesuiten in Ausbildung und ebenso alte Jesuiten werden vom Orden vollständig unterhalten. Von Anfang an bildete der Orden für seine Mitglieder ein soziales Sicherungsnetz und lebte gleichsam eine eigene Form von Sozialismus – lange bevor diese in der profanen Gesellschaft erfunden waren.
"Armut" als Gelübde meint nicht – wie der moderne soziologische Begriff – dass Jesuiten in Not leben. "Armut" im Ordensleben – und das führt leicht zu Missverständnissen – ist ein älterer, spiritueller Begriff: Er meint, dass man auf überflüssige Güter verzichtet, um innerlich und äußerlich frei zu werden, offen für den Ruf und Auftrag Gottes, verfügbar für den Dienst, solidarisch mit den Notleidenden.

[...] "Keusch" im weiteren Sinn meint, dass Sexualität auf Beziehung hingeordnet ist und nur in einer dauerhaften Partnerschaft seinen Ort und seine Erfüllung findet – so soll jeder Christ Keuschheit leben.
Das Ordensgelübde meint allerdings einen engeren Begriff, nämlich "ehelose Keuschheit", in der man vollständig auf Partnerschaft und sexuelle Begegnung verzichtet, um freier zu sein für den seelsorgerlichen Dienst und um seine leiblich-seelische Energie ganz für eine größere Zahl von Menschen einsetzen zu können. Diese Keuschheit will nicht den Leib unterdrücken oder die Liebesfähigkeit verringern, sondern im Gegenteil den Menschen in liebevoller Offenheit weiten.
[...] Um das Keuschheitsgelübde zu leben, ist für den Jesuiten die Kommunität eine Hilfe. Sie ist kein Familienersatz, gibt aber doch ein gewisses Maß an Geborgenheit und Heimat.
Freundschaftliche Beziehungen zu Frauen sind dem Ordensmann durchaus möglich, allerdings mit innerer und äußerer Klarheit, sodass keine Exklusivität oder unpassende Erwartungen entstehen. V.a. in der Seelsorge braucht es in allen Beziehungen die rechte professionelle Distanz, auch gegenüber Kindern und Jugendlichen, bei denen Verfehlungen besonders schwerwiegend wären.
Ehelose Keuschheit wird dem Jesuiten immer ein Verzicht sein, oft schmerzlich auszuhalten, aber doch ein Zeugnis dafür, dass ihm die Hingabe an Gott und an den Dienst wichtiger ist als diese irdische Bindung.

[...] Der jesuitische Gehorsam meint nicht so sehr – wie bei den Mönchen – Anpassung an eine klösterliche Lebensordnung, sondern Verfügbarkeit für Aufträge. Gemeinsam mit dem Oberen wird beraten, welche Tätigkeit und welcher Lebensort für einen Jesuiten in Frage kommen. Der Jesuit soll dabei seine Fähigkeiten und Grenzen, seine Wünsche und Erwartungen nennen. In einem Prozess gemeinsamer Beratung wird die beste Lösung gesucht, wobei der Obere den größeren Überblick über den Bedarf und natürlich das letzte Wort hat. Oft muss man einen Kompromiss suchen zwischen den persönlichen Neigungen des Jesuiten und den Bedürfnissen des Ordens.
In der Regel wechselt ein Jesuit alle 6-10 Jahre die Aufgabe, was ihn beweglich hält und allzu erstarrte Beziehungsmuster verhindert.
[...] Heute schiebt übrigens manche große Firma ihre Mitarbeiter viel autoritärer und rücksichtsloser – si cadaver essent – herum als der Jesuitenorden, der doch einen insgesamt menschlichen, fairen und familiären Umgang pflegt.

Berüchtigt ist auch der jesuitische "Verstandesgehorsam", den viele als eine Art Gehirnwäsche deuten.
Muss der Gehorchende den Verstand ausschalten oder zumindest so verbiegen, dass Einwände gegen Entscheidungen gar nicht erst aufkommen?
Die Satzungen meinen jedoch nur, dass der Gehorchende sich, soweit möglich, die Argumente des Oberen zu eigen machen und mit diesen Argumenten die Entscheidung anderen gegenüber erklären soll – auch dann, wenn er selbst eine andere Option mit anderen Argumenten bevorzugen würde.
Den Verstand soll man nicht ausschalten, sondern, in aller Ehrlichkeit und Freiheit, zugunsten des Ordens und seiner Strategie nutzen – eine im Grunde natürliche Vorgehensweise, die jedes Unternehmen von seinen Mitarbeitern fordert. Übrigens betont Ignatius eigens den Gewissenseinspruch: Wenn "irgendein Anschein von Sünde" besteht, muss man nicht gehorchen.


S. 73-76) Wilde Tiere, radikal ehrlich

Mörlin (In Braunschweig hatte der acht Jahre jüngere Martin Chemnitz an Mörlins Seite schon seit August 1553 als Coadjutor gewirkt. Mörlin hatte ihn schon zuvor in Königsberg kennengelernt. [...] Nach außen hin entwickelte Chemnitz ein außerordentlich bedeutsames theologisches Wirken. Wichtige theologische Schriften erschienen aus seiner Feder, nicht zuletzt das umfangreiche Werk, in dem er die Beschlüsse des Tridentischen Konzils aus lutherischer Sicht behandelte. Es wurde insbesondere von den Jesuiten stark beachtet und trug ihm den Ruhm ein, der "zweite Martin" nach Martin Luther zu sein.) schreibt 1568 über die Jesuiten:

"Gottes Evangelium war machtlos angesichts dieser Kreaturen des Teufels, welche die Hölle ausgespien hatte, um das ganze Deutsche Reich zu vergiften. Sie betreiben nicht nur selber Hexerei, sie unterrichten darin auch andere und bringen ihren Schülern die Methoden bei, wie man sich seiner Feinde durch Gift, Zauberformeln und ähnlicher Dinge entledigt [...]
Jene, die ihnen ihre Jungen zur Erziehung anvertrauen, werfen ihre Nachkommenschaft Wölfen in den Rachen, etwa so, wie die alten Juden sie dem Moloch opferten."

Prof. Roding von der Universität Heidelberg schrieb 1575:

"Sie sind wilde Tiere, die aus unseren Städten vertrieben werden sollten.
Obgleich äußerlich bescheiden, einfach, demütig und höflich, sind sie in Wirklichkeit Furien und Atheisten – ja viel schlimmer noch als Atheisten. Die Kinder, die ihnen anvertraut werden, sind gezwungen, sich ihren säuischen Lehren anzuschließen, wenn sie Gottes Majestät angrunzen. Sie sind nicht nur Giftmischer, sondern auch Verschwörer und Mörder [...]
Sie veranlassten die Bartholomäusnacht, sie töteten König Sebastian. In Peru stießen sie rotglühende Eisen in die Leiber der Indianer, damit sie verraten, wo sie ihre Schätze verborgen halten.
In 30 Jahren töteten die Päpste 900.000 Menschen, die Jesuiten 2 Millionen.
Die Keller ihrer Kollegien in Dtl. sind vollgepfropft mit Soldaten, und Canisius heiratete eine Äbtissin."

("Auch in Portugal fasste die Inquisition schärfer zu, nachdem der junge König Sebastian 1568 die Regierung übernommen hatte. Sebastian stand unter dem Einfluss fanatischer Jesuiten. Er verlor sich in überspannte und verklemmte Frömmelei, träumte vom Ruhm des Kreuzritters gegen die Ungläubigen.")

Johann Christoph Harenberg 1760: Pragmatische Geschichte des Ordens der Jesuiten (2250 Seiten)

Für Ignatius ist eine hohe Tugend die discreción – man übersetzt das spanische Wort am besten mit Klugheit. Diese Tugend kommt aus der "Unterscheidung der Geister", eine zentrale Lehre der Exerzitienspiritualität. "Geister" ist ein Bildwort für innere Regungen (mociones), die den Menschen in seinem Verhalten bestimmen: Gefühle, Gedanken, Verlockungen, auch Ängste, Widerstände, sodann Phantasien, Ideen Projekte ... Gerade im Schweigen der Exerzitien kommen viele solcher Regungen: Die "Geister" geraten heftig in Bewegung. Nach Ignatius soll man diese Regungen zulassen und genau wahrnehmen! Mit ihnen arbeitet man auf dem geistlichen Weg. Die Erfahrung lehrt nun, dass manche Regungen oder Ideen in eine gute, heilsame, fruchtbare Richtung führen, andere in unheile, unfruchtbare, kranke, böse Zusammenhänge. [...]

Um die Geister zu unterscheiden, gibt Ignatius einige Hilfe. Nur weniges davon sei angedeutet: Man soll
# radikal ehrlich mit sich umgehen,
# sowohl die Gefühle wie den Verstand nutzen und beide integrieren,
# sich im Gebet von Gott Hinweise erbitten,
# auf Nachhaltigkeit der Projekte achten,
# sich Beratern und Freunden öffnen und sich kritisieren lassen,
# dem Vorrang geben, was zu geistlichem "Trost" – innerer Frieden, gute Beziehungen, Freude in Gott – führt,
# das rechte Zeitmaß für Entscheidungsprozesse finden,
# sich nicht an persönlichen Schwachstellen überrumpeln lassen,
# nicht Eitelkeiten und unsinnigen Ängsten erliegen,
# Projekte in guten Experimenten prüfen,
# auch persönliche Verzichte und Schwierigkeiten – im guten Maß – akzeptieren,
# Mittel und Ziel nicht verwechseln,
# sich in seine Todesstunde versetzen und dann erwägen, was man in jener Entscheidungssituation gerne gewählt hätte.


Der Heilige Geist in den Geistern


Ignatius hat hier in der Sprache seiner Zeit eine ganze spirituelle Psychologie des Entscheidens entwickelt. Wer ihr folgt, lernt herauszufinden, was der Wille Gottes ist – dieser zeigt sich genau in den Regungen! – und er lernt, den Regungen des Teufels auf die Schliche zu kommen und ihnen zu widerstehen.

Das alltägliche Leben nach dieser Lehre zu gestalten, braucht viel Disziplin, Offenheit, Klarheit, Entschiedenheit. Wem dies gelingt, der ist "klug", zielstrebig und effizient, er arbeitet tatkräftig und lernt zu führen. Er richtet sich nicht – unter Missachtung der Realität – nach starren Prinzipien, sondern lernt, sich wechselnden Umständen immer neu anzupassen, Strategien zu verfeinern, ungewöhnliche und neue Mittel zu suchen und zu nutzen. In diesem Sinn ist er schlau, aber eben – im gelungenen Fall – auf gute Ziele hin.
Kein Wunder, dass Jesuiten hier Neider und Gegner auf den Plan riefen und dass Spötter das Kürzel "SJ" als "System – je nachdem" deuteten.
Kein Wunder auch, dass jesuitische Schläue bisweilen zu wenig demütig war, über das Ziel hinausschoss und also in Gefahr geriet, intrigant oder hochmütig zu werden und – weil so effizient – als teuflisch zu erscheinen.


S. 77 ff.) Über 200 Bildungshochburgen: Jesuitenzöglinge aller Länder ...

Die größte Zahl an Jesuiten gibt es heute in Indien: etwa 4000 in zwanzig Provinzen, davon etwa 250 Novizen.
An zweiter Stelle stehen die USA: etwa 3000 Jesuiten in zehn Provinzen. Danach kommt Spanien – das Land, das in der Gründungszeit das wichtigste war – mit etwa 1400 Jesuiten. [...]
Hochschulen und Universitäten betreibt der Orden weltweit 231, Gymnasien und andere Schulen 720. In Lateinamerika gibt es das Netzwerk "Fe y alegria" (Glaube und Freude) mit 2.900 Dorfschulen, vor allem für arme Kinder. Von 130.000 Laien und 3.700 Jesuiten werden insgesamt etwa 2,9 Millionen Lernende unterrichtet, davon 1,5 Millionen in "Fe y alegria".

Die dt. Provinz des Ordens hat 409 Mitglieder, die österreichische und die Schweizer Provinz haben 85 bzw. 64 Mitglieder. Zur dt. Provinz gehören auch Dänemark und Schweden.
Das Durchschnittsalter der Jesuiten in den drei deutschsprachigen Provinzen beträgt etwa 64 Jahre. Novizen gibt es derzeit 14, Scholastiker 36, Brüder 43. Die Zahl wird also in den nächsten Jahren weiter abnehmen, doch gibt es immerhin – anders als bei vielen anderen Orden – kontinuierlichen Nachwuchs, sodass der Orden die wichtigsten Aufgaben und Einrichtungen weiterführen wird, wenn auch mit vermindertem eigenen Personal und mit entsprechend mehr Unterstützung von Nichtjesuiten.


S. 80 f.) Die Company vor Ort

Zeitschriften: "Stimmen der Zeit" (München), "Geist und Leben" (Köln), "Orientierung" (Zürich), "Choisir" (Genf), Mitteilungsblätter für Freunde und Förderer "Jesuiten" (München), "Weltweit" (Nürnberg), "Jesuiten" (Wien).

Pfarreien und Kirchen u.a. in Kopenhagen, Uppsala, Aarhus, Berlin, Hof, Nürnberg, München, St. Blasien, Augsburg, Essen, Wien, Linz, Innsbruck, Köln, Hamburg, Frankfurt, Göttingen und Luzern.
Missionsprokuren in Nürnberg, Wien und Zürich, der JEV (Jesuit European Volunteers) in Nürnberg, der JRS (Jesuit Refugee Service) in Berlin und München.
Jugend- und Studenten-Seelsorge u.a. in Graz, München, Frankfurt, Göttigen, Nürnberg, Hamburg, Berlin, Wien, Innsbruck, Zürich, Basel und Genf.
Priesterausbildung u.a. in Rom, Innsbruck und Frankfurt.
Beratung, Begleitung, Glaubensorientierung in Einrichtungen in Mannheim, Aachen, Leipzig, München und Berlin, in vielfältigen Laiengruppen und Exerzitienkursen.
Intern: Provinzialate in München, Wien und Zürich, Noviziat in Nürnberg, Altenheime in Berlin, Köln, Unterhaching, Wien-Kalksburg.


S. 82) Frauenorden sind meist lokal organisiert, sodass es, obwohl 75 Prozent aller Ordensleute Frauen sind, nur wenige große Frauengemeinschaften gibt.


S. 83) In aller Begrenztheit

Und wenn der Jesuitenorden – und ähnlich die gesamte Kirche – etwas weniger mächtig wird?
Macht ist keine Kategorie des Evangeliums und nie ein Ziel, sondern Mittel.
Sie soll nie um ihrer selbst willen angestrebt werden. In aller Begrenztheit versuchen Jesuiten, einfach und demütig zu arbeiten und dafür als Mittel das einzusetzen, was ihnen gegeben wird.


S. 84 ff.) Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?

Woher kommt die Bezeichnung "schwarzer Papst"? Man hat früher den schwarz gewandeten Jesuitengeneral als so mächtig vermutet – das ist mehr Mythos als Wirklichkeit – dass man ihm diesen Namen in Anlehnung an den weiß gewandeten Papst gab.
[...] Jeder Obere hat einen "Konsult", ein Gremium von mindestens vier Mitbrüdern, mit denen er sich regelmäßig und vertraulich in allen wichtigen Angelegenheiten berät. Der Obere ist in Entscheidungen aber nicht an das Votum des Konsults gebunden. Jesuiten entscheiden nichts über Abstimmung, sondern der Obere entscheidet selbsttätig. Dies macht manches klarer und effizienter, wird aber für den Oberen bisweilen zur Last. Gewählt wird nur der Generalobere, alle anderen Amtsträger werden durch die nächsthöhere Ebene ernannt.
Jeder Obere und jeder Konsultor schreibt jährlich einen Bericht an den Generaloberen, auch der einzelne Jesuit kann jederzeit schnell und direkt mit allen Führungsebenen kommunizieren.
Der Stil ist also einerseits sehr hierarchisch, andererseits wird durch intensive und ehrliche Kommunikation und durch häufiges Auswechseln der Amtsträger der Machtgebrauch kontrolliert.
Bei Schwierigkeiten kann schnell eingegriffen werden.
[...] Sich um Ämter zu bewerben, ist nicht möglich, man wird einfach ernannt – oder auch nicht.
Man kann eine Ernennung nicht ablehnen. Nach sechs Jahren "oben" wird man wieder "unten" sein. [...]

Neben den drei Führungsebenen gibt es heute Zwischenebenen, die aber keine rechtliche Gewalt haben.
So treffen sich die Provinziäle einer "Assistenz" – mehrere Provinzen einer Weltregion – regelmäßig zum Austausch und zur Zusammenarbeit, und oft gibt es gemeinsame Projekte der Assistenz. In Europa gibt es außerdem eine Provinzialskonferenz mit einem Präsidenten, der in Brüssel seinen Amtssitz hat. Hier wird europaweit – in den letzten Jahren immer mehr – zusammengearbeitet.
("Die Erfahrung der eigenen Sündhaftigkeit und doch des Angenommenseins von Gott ist eine wichtige Grundlage, um überhaupt in die Übungen der zweiten Woche eintreten zu können. Hier ist allerdings zu bemerken, dass Ignatius und seine Gefährten vielfach nur die erste Woche der Exerzitien gegeben haben.
Sie genügt, um ein guter Christ zu werden: Innerhalb des Exerzitienbuches kann man sie mit der ersten Weise der Demütigung gleichstellen, die 'notwendig [ist] zum ewigen Heil'.")

Ignatianische Schuldverstrickung im Weltmaßstab



Stefan Kiechle SJ: Wissen was stimmt – Die Jesuiten pt 2

pt 1 SJler sind die, die wissen was stimmt
pt 3 Irdische Bindung lediglich zum General(sekretär)
pt 4 Docta pietas – intellektualisierter Schriftglaube


S. 48 f.) Dialektische Akzentverschiebung bei Millionen Exerzitanten

Zunächst – Ignatius nennt diesen ersten Schritt "Prinzip und Fundament" – schaut der Exerzitant auf sein Leben zurück, in Dankbarkeit und Freude: wie er geschaffen und von Gott geführt wurde, wie viele Dinge und Gaben er von Gott bekam, wie er sich ihm im Gebet vertrauensvoll öffnen kann. Bei der Betrachtung der "Dinge" der Welt bemerkt er wohl schon eine Ambivalenz: dass er sie zu Gutem nutzen sollte, dies aber nicht immer getan hat. Ignatius sagt, man solle sich "indifferent" machen. Das Wort meint bei ihm nicht, wie heute meist, "gleichgültig", sondern es bezeichnet die innere Freiheit: Man gebraucht die Dinge, insoweit wie zu Gutem nützen, und lässt sie weg, insofern sie hindern, das Gute zu erstreben, oder gar Böses schaffen.
Im zweiten Schritt bedenkt der Exerzitant die dunklen Stellen seines Lebens: Verletzungen und Ängste, Versagen, Brüche, Schuld. Ignatius legt den Akzent – hier ist er Kind seiner Zeit – stark auf die Sünde, heute ergänzt man diese Sicht dadurch, dass erlittenes Böses eine größere Rolle spielt. Der Mensch ist Opfer und Täter von Bösem, und beides oft in enger Wechselwirkung. Ein Blick auf die geschichtliche und soziale Verflechtung des Bösen hilft dem Exerzitanten, sich selbst als Teil einer globalen Schuldverstrickung zu begreifen.


S. 50 ff.) Prinz Jesus auf Kriegspfad

Das Leben Jesu wird verinnerlicht – mit Blick auf ihn prägt und gestaltet der Exerzitant sein Leben. Wenn man vor Lebensentscheidungen steht, ist hier der Ort, diese mit Blick auf Jesus zu bedenken und im Gebet Hilfe und Klarheit zu erbitten. Man betrachtet auch, wie ein König seine Ritter zum Kriegszug auffordert, und sieht darin Christus, der seine Jünger und so auch den Exerzitanten in seine Nachfolge ruft.
Man stärkt die Bereitschaft, sein Leben zur Verfügung zu stellen und sich von Christus zu Aufträgen senden zu lassen.

Die "dritte Woche" thematisiert das Leiden und Sterben Jesu: Der Exerzitant schaut nochmals auf das Böse, das sich gegen das Gute wendet, und er sieht, dass sein gewählter Lebensentwurf ihn eventuell in Situationen des Leidens bringen kann. Er nimmt diese Perspektive mit Blick auf Jesus gläubig an.
In der "vierten Woche" betrachtet der Exerzitant die Auferstehung Jesu:
Er sieht das neue Leben, das Leiden und Tod besiegt hat. Sich selbst sieht er als erlösten Menschen, für den der "Himmel" schon begonnen hat, wenn auch noch gebrochen, verhüllt, fragmentarisch. Im Glauben lebt er schon aus Gott und in Gott. Weil Gott ihm so viel geschenkt hat, schenkt er sich ihm ganz zurück ...

Wann wären Exerzitien manipulativ?
Wenn man in den Übungen zu viel "machte" und so einen Erfolg, eine Erfahrung oder eine Erkenntnis erzwingen wollte, wenn der Begleiter ["Exerzitienmeister"] den Prozess aktiv zu steuern versuchte – was nicht gelingen kann, denn der innere Mensch ist zu autonom und würde schnell blockieren. Wenn bei Entscheidungen der Begleiter in eine Richtung drängte oder gar den Exerzitanten zu einer bestimmten Wahl überreden versuchte.
Gute Exerzitien sind nie manipulativ, denn der Prozess ist offen, für Exerzitant und Begleiter – der Geist darf sich mitteilen und führen, wie er will, und der Begleiter geht behutsam, zurückhaltend, nicht dirigierend den Weg mit.
Er hilft, den Prozess zu deuten und zu verstehen, aber greift nicht in ihn ein.


Menschen als Auftragsentdecker und -vollstrecker


Die spirituelle Pädagogik der Jesuiten (Rasputin, Hermogen und Iliodor, Pietro Tacchi Venturi SJ, Ludwig Kaas, Maltese Knights, Ho Chi Minh, Wojciech Jaruzelski, Fidel Castro, Albert Hartl, Robert Leiber SJ, Hermann Keller, Hermann Muckermann SJ, Georg Michael Pachtler) ist in dem Sinn neuzeitlich, als wirklich das Individuum mit seinen Gaben und Grenzen, mit seiner Lebensgeschichte und Sehnsucht einen Weg mit Gott geht. Das dahinter stehende Menschenbild könnte man das ignatianische nennen: Gott hat für jeden Einzelnen einen Auftrag. Diesen muss er – wegen der Verstrickung in das Böse und in die Lüge – mühsam zu erkennen suchen.
Wer den Auftrag entdeckt hat, soll ihm folgen, auch wenn ihn das bisweilen in Schwierigkeiten führt.
Der erfüllte Auftrag wird zum Segen werden für ihn und für die Menschen, denen er begegnet.


S. 53 ff.) Am klarsten: mobile Eingreiftruppe

Der Charakter des Buches [Satzungen] ist außergewöhnlich: Es ist ein Gesetzeswerk, das Strukturen und Regeln klar vorgibt, und zugleich ein spirituell inspirierender Text, der die Jesuiten anregt, persönlich und individuell den Geist des Ordens in die Praxis umzusetzen. Das Ineinander beider Textgattungen macht das Besondere aus.
Daher kann man an den Satzungen wohl am klarsten den Geist der Jesuiten erkennen: Sie sind strukturiert, kooperativ, hierarchisch, zielstrebig – und zugleich frei, individuell, mobil, offen für Neues. [...]
Welches ist – zusammengefasst – der Geist der Satzungen?
Immer wieder spricht Ignatius von "unserer Weise des Vorangehens" (noster modus procendendi).
Diese besteht darin, dass Jesuiten genau und vorurteilsfrei die Wirklichkeit wahrnehmen, dass sie anschließend gründlich, wie die Exerzitien sagen, "die Geister unterscheiden" – persönlich und sich mit anderen beratend – dass sie sodann klar entscheiden und schließlich zielstrebig das Vorhaben durchführen, und das alles im rechten Zeitmaß und mit den passenden Mitteln.
Die Mittel gilt es, auf die Ziele hin auszuwählen – und nicht umgekehrt. Die Maxime "Der Zweck heiligt die Mittel" steht nicht in den Satzungen und gilt zu Unrecht als jesuitisch, denn Ignatius will immer, dass man nur ethisch verantwortbare Mittel nutzt und nur zu guten Zielen. ("Sie sind überall, die 'Soldaten Christi' ...")


"Heil Cäsar!", "Heil Christus!" – Verherrlichung als Seelenheil


Erstes Ziel allen Tuns ist das "Heil der Seelen", was sich sowohl auf das "diesseitige" Heilwerden wie auf das ewige Heil bezieht. Die nächsten Ziele wie Gerechtigkeit, Barmherzigkeit usw. dienen diesem ersten Ziel.
Als Mittel, so Ignatius, sind diejenigen, die das Werkzeug – den Menschen – mit Gott verbinden, wirksamer als jene, die es gegenüber Menschen bereiten. Mit den ersten meint er "Güte und Tugend und besonders die Liebe die lautere Absicht des göttlichen Dienstes und die Vertrautheit mit dem Herrn in geistlichen Übungen und der aufrichtige Eifer für die Seelen um der Verherrlichung dessen willen, der sie geschaffen hat."
Mit den zweiten meint er Wissenschaft und andere natürliche Begabungen (Sa 813).


S. 57 ff.) Jesuitismus/Marxismus und die Moderne/Glasnost

Das Verhältnis der Jesuiten zum Papst reizt immer wieder zu Spekulationen. Wie hat es sich wirklich entwickelt? Schon zu Zeiten des Gründers war es nicht einfach nur devot und unterwürfig, sondern sehr differenziert:
Paul III. war ein Reformpapst, der den Orden förderte. 1555 wurde der Theatiner Kardinal Gian Pietro Carafa als Papst Paul IV. gewählt. Dieser war schon lange ein Gegner der Jesuiten – mächtig, jähzornig, unberechenbar.
Als Ignatius von seiner Wahl erfuhr, erzitterte er "bis in die Knochen seines Leibes" – so berichtet ein Mitarbeiter. Nach kurzem Gebet fand er jedoch seine Ruhe wieder. [...] Ignatius selbst war den Päpsten immer treu ergeben, konnte aber auch recht deutlich vor einem Papst seine Meinung artikulieren.
In den folgenden Jahrhunderten nutzten die Päpste meist recht gern die Dienste der Jesuiten. Selbst als 1773 Papst Clemens XIV. den Jesuiten befahl zu sterben, gehorchten sie brav, ließen sich aber ein baldiges Wiederauferstehen nicht nehmen. Von Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jh.s war das Verhältnis des Ordens zu den Päpsten wie angedeutet sehr eng. Die Jesuiten unterstützten sie vehement in allen ideologischen Auseinandersetzungen der Zeit. [...] Unter Pius XII. besetzten Jesuiten viele Schlüsselstellen im Vatikan [...]
Seit dem ZVK war die Beziehung stürmischer geworden: Die Jesuiten wechselten – so erschien es vielen – von einer konservativ-papsttreuen zu einer liberal-papstkritischen Linie. Sie probierten allzu moderne Seelsorgemethoden aus, förderten die "Theologie der Befreiung" und engagierten sich sozial – das implizierte bisweilen auch marxistisches Gedankengut. Sie wollten die Kirche demokratisieren und modernisieren.


S. 61-64) Opus Dei und Opus Loyalität zu verschieden

Ein Wort zum Opus Dei und zu den neuen geistlichen Bewegungen: Das Opus als laikale und weltweite, konservative und durchaus elitäre Bewegung trat an mit der zwar nicht ausgesprochenen, aber untergründig doch spürbaren Haltung, die alten Orden in ihrem Auftrag abzulösen. Insbesondere die ihm in mancher Hinsicht nicht unähnlichen Jesuiten. [...] Das Verhältnis zu den Jesuiten war und ist, entgegen allen Spekulationen, aber doch eher ein Nichtverhältnis, denn beide Gemeinschaften sind – genauer betrachtet – zu verschieden, um sich ernsthaft Konkurrenz zu machen. Außerdem wirkt das Opus ("1982 als Personalprälatur errichtet") eher im Verborgenen und pflegt kaum Beziehungen zu anderen Gemeinschaften. ("Im Moment ist das Opus Dei die einzige Einrichtung der Kirche, welche den Status einer Personalprälatur hat.") In den letzten Jahren wurde es in Europa stiller um das Opus. Hingegen bestehen zwischen manchen der neuen geistlichen Bewegungen und den Jesuiten freundschaftliche Beziehungen. Einige dieser Gemeinschaften sind noch jung, schnell gewachsen und daher wenig gefestigt. Sie lassen sich bisweilen von der lange gewachsenen spirituellen und theologischen Kompetenz der Jesuiten helfen, etwa indem ihr Nachwuchs an Jesuitenuniversitäten studiert.


Das gehütete und das bemühte Individuum


Das 17. und 18. Jh. war die große Zeit der Moraltheologie. Vielleicht lag das daran, dass die klar geordnete, bergende und den Einzelnen führende christliche Gemeinschaft des Mittelalters zerbrochen war.
Nun war das Individuum gefragt, und in einer offenen und vielfach zerrissenen Welt musste es immer öfter und mit Mühen selbst entscheiden, wie und was zu tun war. [...]
Ein altes Problem der Theologie war, wie sich der freie Wille des Menschen und das göttliche Gnadenwirken zueinander verhalten. Die Jesuiten hatten nun in ihren Exerzitien eine Spiritualität, die den Einzelnen befähigen und ermutigen will, sich selbst frei zu entscheiden. Dazu bedarf er selbstverständlich der Hilfe der Gnade, aber er soll sein Eigenes – seine Erfahrung, Sehnsucht und Affekte, seine Urteilskraft und geistlichen Erkenntnisse – aktiv einbringen und so in einem inneren Prozess frei wählen. Er wird zum Mitarbeiter Gottes. Dieser im Thomismus gründende Ansatz rief Widerspruch hervor, nicht nur bei den Reformatoren – die dem freien Willen viel weniger und der allein wirkenden Gnade viel mehr zubilligten – sondern u.a. auch bei manchen Dominikanern.
Nach ignatianischem Ansatz zeigt sich jedoch die Größe Gottes ganz besonders in der freien Entscheidungsmacht des Menschen. Zwischen dem Dominikaner Banez und dem Jesuiten Molina kam es zum berühmten Gnadenstreit, der – manchmal ist das Lehramt weise – nie wirklich entschieden wurde.


S. 64 f.) Gott-Genossen mit jesuitischer Weite

Das ethische Problem ergibt sich aus dem theologischen: Wenn der Mensch der Exerzitien sich auf einem inneren, von der Gnade erleuchteten Weg begibt und so Mitarbeiter Gottes wird, muss er oft, weil die Umstände und seine Erkenntniskraft begrenzt sind, Entscheidungen fällen, die er zwar mit Wahrscheinlichkeit für richtig hält, für die er aber keine letzte Sicherheit hat. [...] Diese von Jesuiten vertretene Lehre nennt man den "Probabilismus" (lat. probabilis – wahrscheinlich). Würde man sie missbrauchen und unsichere Entscheidungen allzu leichtfertig fällen, öffnete man der Willkür Tor und Tür. Nicht nur der große Philosoph Blaise Pascal greift sie deswegen in seinen berühmten Lettres Provinciales als Laxheit an, immer wieder mussten Jesuiten sich diesem Vorwurf stellen.
Doch ist der Probabilismus letztlich eine Lehre der Barmherzigkeit:
Wer sich lauter und fromm um die wahrscheinlich beste Entscheidung bemüht, braucht nicht zu fürchten, im Falle einer Fehlentscheidung für eine Todsünde ewig verdammt zu werden.
Wenn heute den Jesuiten wieder Laxheit und Liberalismus vorgeworfen wird, so kommt diese jesuitische Weite – wenn man sie so nennen darf – letztlich aus der Exerzitienspiritualität:
Wer sich intensiv geistlich bildet, kann durch Unterscheidung der Geister, auch wenn es für den konkreten Fall keine klare moralische Regel gibt, von innen her manches klar sehen und entscheiden. Er geht eigenständig mit Gott einen Weg, zu einem radikalen und vertieften Engagement für die Welt. Streng konservative oder ängstliche Geister, die für alles Regel, Anordnung und Gehorsam einfordern und in allem nach Sicherheit streben, verstehen diesen Ansatz kaum. Er kommt aus einem hohen Vertrauen in die sittliche Kraft und Autonomie des Menschen – der sich allerdings in einem langen Weg von innen her reinigt, sich auf Gott und sein Reich hin ausrichtet und immer in dem von der Kirche definierten Rahmen bleibt.


03/02'10 Kiechle ist heute vom Generalsekretär Adolfo Nicolás zum neuen dt. Provinzial ernannt worden.
Am 1. September 2010 wird er sein Amt, welches auf sechs Jahre begrenzt ist, in München antreten.
Kiechle übernimmt damit turnusgemäß die Nachfolge von Stefan Dartmann SJ. Neben der administrativen Leitung der Ordensprovinz gehört es zu den zentralen Aufgaben des Provinzials, das regelmäßige Gespräch mit jedem Jesuiten über seine Arbeit und sein Leben im Orden zu suchen.

09/16'10 "Kiechle plädierte am Mittwoch im Rahmen des 'Kardinal-Höffner-Kreises' katho. CDU-Abgeordneter für die Zulassung von verheirateten Männern zum Priesteramt und für ein Nachdenken über die Weihe auch für Frauen. Zudem kritisierte Kiechle die Praxis von Ernennungen in der kirchlichen Hierarchie. Sie würden oft durch Beziehungen arrangiert und erinnerten fast an 'Korruption'. [...] Der Provinzial sprach von einer massiven Krise der Kirche, bei der es einen quantitativen und qualitativen Priestermangel gebe. [...] Erstmals schlage heute der Priestermangel 'voll durch'. Der Jesuit mahnte eine 'Auswahl, Ausbildung und Formung' von Priestern an. Viele heutige Kleriker seien kaum in der Lage, eine Leitungsaufgabe zu übernehmen. [...] Weiter sagte der Obere, die katho. Kirche solle in den kommenden Jahren Schwerpunkte setzen. An erster Stelle stehe eine 'Reduktion aufs Kerngeschäft', zu dem 'ordentliche und qualitätsvolle' Gottesdienste und Katechesen gehörten [...] Weitere Akzente müssten Barmherzigkeit und Zuwendung zu den Ausgegrenzten und Menschen am Rande sein. 'Das ist das Kerngeschäft der Kirche,' meinte er. "