March 8, 2011

Der Jesuitenorden, Gehorsam



Paule Hoensbroech – Der Jesuitenorden pt 2

pt 1 Einleitung
(siehe auch # Abhängigkeit vom Obern und # Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches)

Satzungen:

"Besonders dient es zum Fortschritt und es ist sehr notwendig, dass alle sich einem vollkommenen Gehorsam hingeben, indem sie den Oberen (wer immer es sei) als den Stellvertreter Christi des Herrn anerkennen und ihm innerliche Ehrfurcht und Liebe erweisen, und nicht nur in der äußerlichen Ausführung dessen, was er befiehlt, sollen sie vollständig, schnell, starkmütig und mit gebührender Demut, ohne Entschuldigungen und Gegenreden gehorchen, obwohl er vielleicht Schwieriges und der Sinnlichkeit Widerstrebendes befiehlt, sondern sie sollen auch streben, innerliche Resignation und wahre Verleugnung des eigenen Willens und Urteils zu erlangen, indem sie das eigene Urteil und den eigenen Willen mit dem, was der Obere will und denkt, ganz in Übereinstimmung bringen in allem (wo nicht Sünde erkannt würde) und das Urteil und den Willen des Oberen als Regel für eigenes Urteil und eigenen Willen sich vorsetzen, damit sie um so gleichförmiger werden der ersten und höchsten Richtschnur alles guten Willens und Urteils, welche ist die ewige Güte und Weisheit." (Const. p. 3, c. 1, n. 23, Summ. const. n. 31: II, 47, III, 6)

"Alle sollen am meisten den Gehorsam beachten, und sie sollen suchen, sich in ihm hervorzutun – nicht bloß in pflichtgemäßen Dingen sondern auch in anderen, sei es, dass auch nur ein Zeichen des Willens des Oberen ohne ausdrückliches Gebot bemerkt würde. [...] Wir sollen alle Nerven unserer Kräfte aufs Genaueste in Bezug auf die Tugend des Gehorsams anspannen, zunächst gegenüber dem Papst, dann gegenüber den Oberen der Gesellschaft, und zwar so, dass wir für alles, worauf sich der Gehorsam mit Liebe erstrecken kann, auf ihre [der Oberen] Stimme, gleichsam als ginge sie von Christus aus (denn aus Liebe und Ehrfurcht zu ihm leisten wir Gehorsam), bereit sind, indem wir jede angefangene Sache, selbst den angefangenen Buchstaben im Stich lassen, indem wir alle Kräfte und alle unsere Absicht im Herrn darauf richten, dass in uns der heilige Gehorsam in der Ausführung, im Willen, im Verstand immer ganz und gar vollkommen sei, indem wir mit großer Schnelligkeit, mit geistlicher Freude und Standhaftigkeit, was immer uns aufgetragen wird, tun, jede entgegenstehende Meinung und Ansicht sollen wir in einem gewissen blinden Gehorsam verleugnen, und zwar soll dies geschehen in Bezug auf alles, was vom Oberen angeordnet wird, wo nicht definiert werden kann (ubi definiri) non possit), dass irgendeine Art von Sünde vorliegt.

Jeder soll überzeugt sein, dass, wer unter dem Gehorsam lebt, sich von der göttlichen Vorsehung durch die Oberen lenken und leiten lassen soll, als sei er ein Leichnam, der sich hierhin und dorthin auf jede Weise tragen und legen lässt, oder als sei er der Stab eines Greises, der demjenigen, der ihn hält, wo und wie auch immer er will, dient.
[...] Alle diejenigen Dinge fallen unter solchen Gehorsam, bei denen es sich nicht um offenbare Sünde handelt (in quibus nullum manifestum est peccatum).
In Bezug auf Ausführung wird Gehorsam dann geleistet, wenn die befohlene Sache ausgeführt wird.
In Bezug auf den Willen, wenn der, welcher gehorcht, dasselbe will wie der, welcher befiehlt.
In Bezug auf den Verstand, wenn er dasselbe denkt wie jener, und wenn er das Befohlene für gut hält.
Und unvollkommen ist jener Gehorsam, bei dem sich – außer bei der Ausführung – nicht auch die Übereinstimmung von Willen und Verstand des Befehlenden und Gehorchenden findet."
(Const. p. 6, c. 1, n. 1, und decl. B u. C, Summ. const. n. 35, 36: II, 93, 94, III, 7)

"Die freie Verfügung über sich selbst und die eigenen Angelegenheiten sollen alle mit wahrem Gehorsam dem Oberen überlassen [...] auf keine Weise zu erkennen gebend, dass das eigene Urteil dem Urteil des Oberen entgegen sei." (Const. p. 4, c. 10, n 5: II, 73)

"Wenn jemand Küchendienst versieht oder dem Koch hilft, soll er ihm mit großer Demut und in allen Dingen, die zu seinem Amt gehören, gehorchen. Denn leistet er dem Koch nicht völligen Gehorsam, so wird er, wie es scheint, auch keinem anderen Oberen gehorchen. Denn der wahre Gehorsam sieht nicht auf die Person, dem er geleistet wird, sondern auf den, wegen dessen man gehorcht, und wenn man wegen unseres Schöpfers und Herrn gehorcht, gehorcht man [überall] dem Herrn der Dinge.
Deshalb soll man unter keinen Umständen darauf sehen, ob er Koch oder der Obere des Hauses ist, ob dieser oder jener befiehlt, denn man gehorcht – richtig verstanden – nicht jenen noch wegen ihrer sondern allein Gott und allein wegen unseres Schöpfers und Herrn." (Ex. gen. c. 4, n. 29, Const. p. 3, c.1, n. 24: II, 13, 47)


Zu diesen Stellen aus den Satzungen kommt als wichtige Ergänzung der Brief des Ignatius von Loyola *click*
("Obedientia undequaque perf ecta inde ab initio tessera fuit eorum, qui in vestra Societate Deo militant. [...]
Sensui enim catholico conformis est illa virtus, perpetua traditione antiquarum et venerabilium Religionum, probante Sede Apostolica, sancita, quam vobis descriptam reliquit sanctus Ignatius in celebri 'Epistola de virtute Obedientiae'. A vero autem prorsus aberrant qui sentiunt doctrinam illius Epistolae iam esse derelinquendam, et obedientiae hierarchicae et religiosae subrogandam esse 'democraticam' aliquam aequalitatem, qua subditus cum Superiore de agendis contendat, donec uterque in idem placitum consentiat.")
"Über die Tugend des Gehorsams" (de virtute obedientiae).
Er richtete ihn an die portugiesische Ordensprovinz, allein das Dokument war selbstverständlich für den ganzen Orden bestimmt und wurde als Ordensgesetz in alle Ausgaben der Satzungen aufgenommen:

"Gern mögen wir uns übertreffen lassen von anderen religiösen Orden in Fasten, Nachtwachen und anderen Härten der Lebensweise, die ihnen durch ihre Ordensregel heilig vorgeschrieben sind, durch wahren und vollkommenen Gehorsam, durch Ablegung (abdicatio) des eigenen Willens und Urteils sollen sich aber, geliebte Brüder, alle auszeichnen, die in dieser Gesellschaft unserem Gott und Herrn dienen, und der wahre und echte Spross dieser Gesellschaft soll durch dieses Merkmal [von den anderen Orden] unterschieden werden. [...]
Sehr wünsche ich, dass auch das euch bekannt sei und eurem Gemüt tief innewohne, dass untergeordnet und unvollkommen jener Gehorsam ist, der das Befohlene nur äußerlich ausführt, dass er nicht einmal den Namen 'Tugend' verdient, wenn er nicht aufsteigt zum zweiten Grade, indem er den Willen des Oberen zu dem seinigen macht und so mit ihm übereinstimmt, dass nicht nur im Äußeren die Ausführung hervortritt, sondern auch im Inneren die Übereinstimmung, und dass so beide dasselbe wollen, dasselbe nicht wollen.
Deshalb lesen wir in der heiligen Schrift: 'Gehorsam ist besser als Schlachtopfer', denn (wie der heilige Gregor lehrt) durch Schlachtopfer wird fremdes Fleisch, durch Gehorsam aber der eigene Wille geschlachtet (mactatur). [...]
Deshalb, geliebte Brüder, leget ab so viel wie möglich euren Willen (voluntates vestras deponite) und überliefert und opfert eure Freiheit, in seinen Dienern [den Oberen], eurem Schöpfer, der sie euch gegeben hat. [...] Wer deshalb zur Tugend des Gehorsams gelangen will, muss zu diesem zweiten Grade des Gehorsams aufsteigen, so dass er nicht nur die Befehle des Oberen ausführt, sondern auch den Willen des Oberen zu dem seinigen macht oder vielmehr seinen auszieht und den vom Oberen ihm dargelegten göttlichen Willen anlegt.

Wer aber sich Gott ganz darbringen will, muss (und das ist der dritte Grad des Gehorsams) außer dem Willen auch den Verstand opfern, so dass er nicht nur dasselbe will, sondern auch dasselbe denkt wie der Obere und sein Urteil dem des Oberen unterwirft, soweit ein frommer Wille den Verstand beugen kann.
Denn obwohl diese Kraft des Geistes nicht mit jener Freiheit begabt ist, wie der Wille, und obwohl von Natur aus ihre Zustimmung dorthin erfolgt, wo der Schein des Wahren sich zeigt, so kann sie doch in vielen Dingen, wo nämlich die Evidenz der erkannten Wahrheit ihr keine Gewalt antut, durch das Gewicht des Willens eher nach dieser als nach jener Seite hin geneigt werden. Treten solche Fälle ein, so muss jeder, der sich zum Gehorsam bekennt, sich der Ansicht des Oberen zuneigen.

Denn da der Gehorsam ein Ganzopfer ist, wodurch der ganze Mensch ohne irgendwelche Verkümmerung sich seinem Schöpfer und Herrn durch die Hände seiner Diener im Feuer der Liebe opfert, da er eine völlige Abdankung bedeutet, wodurch der Ordensmann freiwillig seines ganzen Rechtes sich begibt, um sich der göttlichen Vorsehung unter der Führung des Oberen zur Leitung und zum Besitze zu übergeben und zu überliefern, so kann nicht geleugnet werden, dass der Gehorsam nicht bloß die Ausführung, so dass jemand die Befehle vollzieht, und den Willen, so dass er sie gern vollzieht, sondern auch das Urteil umfasst, so dass, was immer der Obere befiehlt und denkt (quaecunque superior mandat ac sentit), dasselbe auch dem Untergebenen recht und wahr zu sein scheint, soweit – wie ich gesagt habe – der Wille durch seine Gewalt den Verstand beugen kann. [...]

Ist dieser Gehorsam des Urteils nicht vorhanden, so kann auch die Übereinstimmung des Willens und die Ausführung nicht so sein, wie sie sein soll. [...]
Auch geht dann die blinde Einfalt des Gehorsams verloren, indem wir bei uns erwägen, ob, was der Obere befiehlt, recht ist oder nicht. [...] So kommt es, dass der Gehorsam, obwohl er zunächst den Willen zu vervollkommnen scheint, indem er ihn für den Wink des Oberen gefügig und bereit macht, dennoch auch, wie ich gesagt habe, sich auf den Verstand erstrecken und ihn bewegen muss, dasselbe zu denken, was der Obere denkt. [...]
Zuerst müsst ihr, wie ich schon eingangs gesagt habe, in der Person des Oberen nicht einen Irrtümer und Schwächen unterworfenen Menschen, sondern Christum selbst erblicken, der die höchste Weisheit, die unendliche Güte, die unermessliche Liebe ist, der nicht getäuscht werden kann und nicht täuschen will. [...] Seid eifrig bemüht, was der Obere befiehlt oder denkt, auch bei euch stets zu verteidigen, niemals aber zu tadeln. [...]

Haltet für gewiss, was immer der Obere befiehlt, sei Gottes Befehl und Wille, und wie ihr sofort bereit seid, mit ganzem Gemüte und aller Übereinstimmung zu glauben, was der katholische Glaube euch vorlegt, so sollt ihr auch mit einem gewissen blinden Drange des zu gehorchen begierigen Willens ohne irgendwelche Untersuchung euch treiben lassen, zu tun, was immer der Obere sagt. [...] So hat Abraham gehandelt, als ihm befohlen wurde, seinen Sohn Isaak zu schlachten, so hat der Abt Johannes gehandelt [...] als er unter großer und dauernder Mühe ein ganzes Jahr lang ein dürres Holz begoss. [...]
Diese Unterwerfung des eigenen Urteils und diese Billigung und Gutheißung, ohne jede Untersuchung (sine ulla quaestione) dessen, was immer (quodcunque) der Obere befohlen hat [...] ist für alle, die sich des vollkommenen Gehorsams befleißen, nachahmungswert in allen Dingen, die nicht mit offenbarer Sünde (cum peccato manifesto) verbunden sind. Deshalb ist es euch aber nicht verwehrt, wenn euch etwas von der Ansicht des Oberen verschiedenes aufstößt und es euch gut scheint (nachdem ihr zuvor demütig zum Herrn gebetet habt), es dem Oberen auseinander zu setzen, dass ihr es dem Oberen vortraget. Damit euch aber eure Selbstliebe und euer eigenes Urteil nicht täusche, ist die Vorsicht anzuwenden, dass ihr sowohl vor wie nach der Berichterstattung vollständig gleichmütigen Geistes seid, ob ihr die Sache, um die es sich handelt, tun oder nicht tun sollt, und dass ihr billigt und für besser haltet, was immer dem Oberen gefällt. [...]

Ich beschwöre euch bei Christus unserem Herrn, [...] bemühet euch, den vornehmeren und schwierigeren Teil eures Geistes, Verstand und Urteil, zu bezwingen (expugnare) und zu unterwerfen."
Rom, den 26. März 1553 (Ep. S. P. N. Ignatii de virt. obed. : III, 27 ff.)

Niemals ist unter religiös-christlichem Schein etwas Unchristlicheres, niemals in ethisch-moralischer Umkleidung etwas Unsittlicheres vorgeschrieben worden. Niemals sind die Worte Religion, Christentum und Christus schnöder, verderblicher und abgefeimter missbraucht worden, als hier in den Satzungen der "Gesellschaft Jesu" und in dem Brief ihres Stifters. Die Würde des Menschen, auch die, welche er, nach christlichem Glauben, Gott gegenüber hat, nämlich seine aus Verstand und Willen sich zusammensetzende Sittlichkeit, sein moralisches Selbstbewusstsein, sein persönliches Verantwortlichkeitsgefühl sind vernichtet.


Vor uns steht nicht ein Mensch, ja nicht einmal ein abgerichtetes Tier, sondern vor uns steht ein "Stock", ein "Leichnam", eine "Sache". Bedarf es für diese Anschuldigungen des Beweises? Der Wortlaut der vorgelegten Stellen rechtfertigen mein Urteil. Dennoch will ich auf die Hauptpunkte, sie zusammenfassend, noch einmal eingehen:

1. Der Gehorchende muss dasselbe "wollen" und "denken" wie der Befehlende.

2. Der Gehorchende muss "das Befohlene für gut halten".

3. Der Gehorchende darf "auf keine Weise zu erkennen geben, dass das eigene Urteil dem Urteil des Oberen entgegen ist" (nec ulla ratione judicium proprium ipsius judicio contrarium demonstrando).

4. Der Gehorchende muss dem Befehlenden gegenüber sich verhalten wie ein "Leichnam" oder wie ein "Stock", "die sich hierhin und dorthin auf jede Weise tragen und legen lassen".

5. Der Gehorchende muss "das eigene Urteil und den eigenen Willen ablegen" (abdicare).

6. Der Gehorchende muss "den Willen des Oberen zu dem seinigen machen, oder vielmehr, er muss seinen Willen ausziehen und den vom Oberen ihm dargelegten göttlichen Willen anlegen".

7. Der Gehorchende soll "vollständig abdanken und seines ganzen eigenen Rechtes sich entledigen".

8. Der Gehorchende muss "urteilen, dass, was immer der Obere befiehlt und denkt, recht und wahr ist".

9. Der Gehorchende geht des Verdienstes "der Einfalt des Gehorsams verlustig, wenn er bei sich erwägt, ob, was der Obere befiehlt, recht ist oder nicht".

10. Der Gehorchende "soll sein eigenes Urteil unterwerfen und billigen und gutheißen, ohne jede Untersuchung, was immer der Obere befiehlt".

11. Der Gehorchende „muss eifrig bemüht sein, was der Obere befiehlt oder denkt, stets zu verteidigen, niemals aber zu tadeln“.

12. Der Gehorchende muss "für gewiss halten, was immer der Obere befiehlt, sei Gottes Befehl und Wille".

13. Der Gehorchende muss, "ebenso wie er bereit ist zu glauben, was der katholische Glaube ihm [mit Unfehlbarkeit] vorlegt, bereit sein, mit einem gewissen blinden Drange, ohne irgendwelche Untersuchung, zu tun, was immer der Obere sagt".

14. Der Gehorchende muss im Oberen "nicht einen dem Irrtum unterworfenen Menschen, sondern den irrtumslosen Christus erblicken".

Diesen vierzehn Geboten gegenüber, die ebenso viele Erdrosselungen des Verstandes und Willens sind, bedeuten die in bezug auf die Sünde gemachten Einschränkungen absolut nichts.
Wie kann jemand prüfen, ob das Befohlene sündhaft ist, wenn er "ohne irgendwelche Untersuchung" gehorchen muss, wenn er "nicht erwägen darf, ob, was der Obere befiehlt, recht ist oder nicht", wenn er "seinen eigenen Verstand und Willen ganz und gar ablegen" muss, wenn er dem befehlenden Oberen gegenüber sich verhalten muss wie ein "Leichnam" und wie ein "Stock", wenn er "auf keine Weise zu erkennen geben darf, dass das eigene Urteil dem Urteil des Oberen entgegen ist", wenn er "im Oberen nicht einen dem Irrtum unterworfenen Menschen, sondern den irrtumslosen Christus" selbst erkennen muss?
Auch der Wortlauf der Einschränkungen lässt deutlich ihre innere Nichtigkeit erkennen: Gehorchen muss man immer und überall, solange "nicht definiert (definiri) werden kann, dass irgendeine Art von Sünde vorliegt", oder solange es sich nicht "um offenbare (manifestum) Sünde handelt – und wie viele nicht-"offenbare" Sünden gibt es, wenn im Befehl des Oberen die Sünde nicht so greifbar vor den Gehorchenden hintritt, dass er sie sofort als solche "definieren" kann, dann muss er gehorchen. Und überdies – das ist immer wieder zu betonen – den Befehl des Oberen "untersuchen", ihn "prüfen" darf der Untergebene nicht, so wenig, dass er von vornherein alles für "recht und gut" halten muss, was der Obere befiehlt.
Wo bleibt da, frage ich nochmals, die praktische Gelegenheit des Nichtgehorchens Sündhaftem gegenüber?


Und noch mehr! Ignatius scheut sich nicht, selbst das krass Sündhafte, die "offenbare" Sünde, als Gegenstand des Gehorsams hinzustellen.

"So [schreibt der Ordensstifter], d.h. getrieben von blindem Drang, ohne irgendwelcher Untersuchung zu gehorchen, hat Abraham gehandelt, als ihm befohlen wurde, seinen Sohn Isaak zu schlachten."

Dass hier "Gott" dem Abraham etwas schwer Sündhaftes befahl, ganz gleichgültig, ob dieser "Gott" den Willen und die Macht hatte, die sündhafte Tat im letzten Augenblicke zu verhindern, kann keine Theologie und keine "Frömmigkeit" wegdisputieren.
Und diesen auf "offenbare" Sünde (Kindestötung) abzielenden Gehorsam stellt der Stifter des Jesuitenordens als nachahmenswert, ja als die höchste Vollkommenheitsstufe des Gehorsams hin!

Er geht sogar noch weiter. Denn in den Satzungen fordert er die Oberen auf, "zuweilen" von den Untergebenen einen Abrahamsgehorsam zu verlangen:

"Es wird nützlich sein, dass die Oberen sie [die Untergebenen] zuweilen [...] zu ihrem größeren geistlichen Nutzen auf diese Weise versuchen, wie der Herr den Abraham versucht hat."
(Const. p.3, c.1, decl. V: 11, 50)

Nein, die "Einschränkungen" in bezug auf das Sündhafte sind – ich spreche das ungescheut aus – lediglich gemacht, um die abgrundtiefe Unsittlichkeit und das in jedem Betracht Menschenunwürdige des jesuitischen Gehorsams nicht allzu klar zutage treten zu lassen, oder – im besten Falle – weil der Urheber solch schmählicher Theorien mit einigen einschränkenden Redensarten sein eigenes Gewissen beruhigen wollte.
Mit der Unsittlichkeit ist die Unchristlichkeit von selbst gegeben.


Der vollkommene Gehorsam

Der Jesuit Alfons Rodriguez:

"Der Gehorsam ist die wesentlichste Tugend des Ordensstandes. [...]
Er gefällt Gott weit mehr als alle Opfer, welche man ihm darbringen kann, und schließt die Keuschheit, die Armut und alle übrigen Tugenden in sich. [...] Dies ist keine Übertreibung, sondern eine unumstößliche Wahrheit. [...] Wir sollen auch unser Urteil dem unseres Oberen gleichförmig machen, sodass wir stets mir seinen Ansichten übereinstimme und alles, was er befiehlt, für gut halten. [...] Treten wir in den Orden, so sollen wir beherzigen, dass wir unseren Willen in das Grab legen. [...] Die dritte Stufe des Gehorsams besteht in der Gleichförmigkeit des Verstandes mit dem unseres Oberen, sodass wir [...] alles, was er befiehlt, für vernünftig halten, unser Urteil gänzlich dem seinigen unterwerfen. [...] Der unvollkommene Gehorsam hat zwei Augen, aber zu seinem Unglück. Der vollkommene Gehorsam ist blind. [...] Seien wir also so, als wären wir gänzlich tot. Eine Leiche sieht nicht, antwortet nicht. [...] So sollen auch wir keine Augen haben [...] keine Worte, um Einwendungen zu machen gegen jenes, was uns der Gehorsam vorschreibt. [...] Nehmen wir an, Christus selber erschiene dir und beföhle dir, dieses oder jenes zu tun [...] es würde dir nicht in den Sinn kommen , über das, was er dir geböte, ein Urteil zu fällen, du würdest nicht den mindesten Zweifel hegen, ob es gut oder böse wäre, sondern blindlings den Auftrag vollziehen. [...] Erblickst du in deinem Oberen nicht den dem Irrtum unterworfenen Menschen, sondern Christus selber, der die höchste Weisheit, Güte und Liebe ist, welche weder irren kann, noch dich in Irrtum führen will, so hören alle Grübeleien und Urteile auf."
(Gioberti, a.a.O., III, 206, 210, 215, 218, 221, 225, 249, 253)

Genelli-Kolb SJ:

"Der Wille des Befehlenden und Gehorchenden ist nur ein Wille, ohne dass der Geist des letzteren verfinstert und stumpf würde. Im Gegenteil, er ergibt sich freiwillig, weil er erkennt, dass es so der Wille Gottes sei, dem zu widerstehen Frevel ist. Also der Verstand selbst erzeugt diesen Gehorsam, indem er die Notwendigkeit desselben anerkennt und dadurch seine edelste Tätigkeit entwickelt. [...]
In zweifelhaften Fällen muss er das Urteil des Oberen dem seinigen vorziehen, da bei ihm die Eigenliebe die bessere Wahl erschwert und der Vorgesetzte die Angelegenheiten aus einem höheren und richtigeren Gesichtspunkt betrachtet." (Leben des hl. Ignatius, S. 213, 215)

Sehr bemerkenswert ist das Urteil Gotheins, verbunden mit einer äußerst wichtigen Erläuterung des Ignatius über den Gehorsam bei sündhaften Befehlen:

"Gerade durch das Opfer der Einsicht macht es [das von Ignatius von Loyola ausgebildete "künstliche System von Sachunterscheidungen"] den Gehorsam zu einer solchen [d.h. Tugend]. Freilich fügt Ignatius bei dieser Forderung oft die Klausel hinzu: 'soweit nicht eine Sünde klar erkennbar ist'. Allein diesen noch übrig gelassenen Zweifel an der Lauterkeit des Befehles eines Oberen hat er alsbald wieder auf das denkbar kleinste Maß beschränkt.
Schon 1543 gibt er den Pariser Scholaren [gemeint sind "Scholastiker" des Jesuitenordens] eine Weisung dieser Art. Danach ist es nur die niedere Art des Gehorsams, das Befohlene zu tun, wenn kein Schein einer Sünde dabei ist, die höhere dagegen wo ein solcher vorhanden, mit dem eigenen Urteil zurückzuhalten, die Zweifel dem Oberen vorzulegen und dann nach seiner Entscheidung mit ruhigem Geist das Befohlene zu tun." (Ignatius von Loyola und die Gegenreformation, S. 333 f., Gothein verweist a.a.O., S. 788, auf Cartas, Briefe des Ignatius, Nr. 47)

Wie rücksichtslos, abgesehen von den Jesuiten selbst, auch ihre Verteidiger die über den blinden Gehorsam handelnden Stellen der Ordenssatzungen fälschen, mag am Freiburger Universitätsprofessor und Uditore di Rota (höchster päpstlicher Gerichtshof), Franz Heiner gezeigt werden.
In dem Kapitel "Der blinde jesuitische Gehorsam" (Der Jesuitismus S. 52-57) bringt er die Stelle aus dem 3. Teil der Ordenssatzungen (c. 1, n. 23: II, 47), unterschlägt aber die Vorschrift, dass der Untergebene dahin streben soll, "innerliche Entsagung und wahre Verleugnung des eigenen Willens und Urteils zu üben und sein Urteil und seinen Willen ganz und gar in Übereinstimmung zu bringen mit dem, was der Obere denkt und will in allem, wo nicht Sünde erkannt wird, indem er Willen und Urteil des Oberen zur Regel seines eigenen Willens und Urteils macht." Überhaupt bringt Heiner in dem ganzen Kapitel keine einzige Stelle von den vielen der Ordenssatzungen, die den blinden, unbedingten Gehorsam fordern.
Er legt nur zwei Stellen vor, die den Gehorsam gegenüber sündhaften Befehlen ausschließen (S. 54).

Fast selbstverständlich ist es, dass der Jesuitenorden zur Verherrlichung seiner Gehorsamstheorie eine seiner beliebtesten Künste, Wunder und Visionen, arbeiten lässt. Unter zahlreichen "Visionen" zu Ehren des Gehorsams lege ich eine besonders charakteristische vor. Sie gibt zugleich eine gute Probe jesuitischen Hochmuts, der uns noch in einem besonderen Abschnitt beschäftigen wird. Nach dem Bericht des Jesuiten Ludwig Mansonius, Provinzials der neapolitanischen Ordensprovinz, sagte Christus der heiligmäßigen Jungfrau Johanna ab Alexandro, dem Beichtkind des Mansonius, am 7. Juni 1598 in der Jesuitenkirche zu Neapel:

"Der Gehorsam, den ich von den Mitgliedern meiner Gesellschaft fordere, ist der blinde Gehorsam, dass sie jedem Wink der Oberen folgen, und ich wünsche, dass sie sich jedes eigenen Willens entäußern. [...] Dass ich dir Unwürdigen diese Vision habe zuteil werden lassen, ist eine Belohnung für den Gehorsam, den du dem [Jesuiten-] Pater Ludwig geleistet hast. Ihm sollst du auch dies alles erzählen und seinen frommen Befehlen gehorchen."
(die Dokumente bei Döllinger-Reusch, M. St., I, 528 f. und II, 346)

Was will man mehr? Christus selbst erklärt sich in einer "Erscheinung" – 1600 Jahre nach seinem Tod – für den blinden Gehorsam "seiner" Gesellschaft.

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